Die digitale Revolution begann irgendwann Ende der 1980er-Jahre. Jedenfalls für mich. Ein Freund aus den USA wohnte bei mir und hatte einen tragbaren Computer dabei. Der konnte sprechen, es war der erste Apple-Laptop. Wenige Jahre später steckte dieser Freund noch ein Kabel in die Telefonbuchse und zeigte mir etwas, das er Internet nannte. Es sei vom US-Militär entwickelt worden und werde bald eine Revolution auslösen. „Interessant“ antwortete ich und las doch lieber über Russland 1917.
In der Fachsprache der Marketingexperten zähle ich zu den „Late Adoptern“. Denjenigen, die jegliche technische Neuerung verschlafen und sie erst dann für sich entdecken, wenn sie schon wieder überholt zu werden droht. Beim Vorläufer der EC-Karte war das so (1988), beim Anrufbeantworter (1992), beim Handy (1997). Zum World Wide Web machte dann ein anderer Freund kürzlich die kluge Bemerkung: „Alt ist man dann, wenn man die neuesten Entwicklungen nicht mehr versteht.“ Also habe ich mich vor ein paar Wochen bei Facebook eingetragen. Man will ja vieles sein. Aber alt? Ich verhielt mich, wie ich mich auch im normalen Leben verhalte. Da renne ich auch nicht mit offenen Armen auf jeden x-beliebigen Menschen zu. Die Folge: Auch nach zwei Wochen im Freundschaftsnetzwerk Facebook hatte ich keinen einzigen Freund. Es ist nämlich dort wie im echten Leben: Freundschaften sind ein Geben und Nehmen. Ich hatte nur meinen Namen preisgegeben und bekam nichts. Das empfand ich als beruhigend.
Bis sich Anfang vergangener Woche dann doch ein mir vollkommen unbekannter Mensch meldete: Er wolle mein Freund sein. Ich fühlte mich entdeckt, so wie man sich manchmal fühlt, wenn sich in der U-Bahn plötzlich die Blicke mit einem fremden Menschen kreuzen. Oder wenn man als Kind vor einem Foto in einem Buch erschreckte, weil man dachte, der Mensch auf dem Bild könne einen sehen. Und so wie ich früher dann schnell das betreffende Buch einfach zugeklappt habe, wollte ich jetzt meine Mitgliedschaft bei Facebook kündigen. Es war fast unmöglich.
Zumindest kostete es mehrere E-Mail-Wechsel und einen Ausflug in die Untiefen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, bis ich aus dem Freundschaftsnetzwerk aussteigen konnte; immer begleitet von den Ermahnungen Facebooks, dass ich mit meiner Mitgliedschaft auch alle bisherigen Kontakte verlieren werde.
Dies war eine neue Erfahrung: Es ist heutzutage einfacher, Freundschaften zu knüpfen, als sie zu beenden. Früher nannte man das „falsche Freunde“, nun heißt es Facebook.