Die New Yorker Designerin Nicole McLaughlin erzählt, warum sie aus Fusselrollen Absätze macht.
SZ-Magazin: Für unsere Modebilder haben Sie aus einer Zitronenpresse einen BH gebastelt und einen Filzstift in einen Ohrring verwandelt. Wann fingen Sie an, aus Alltagsgegenständen und manchmal auch aus Müll Mode zu machen?
Nicole McLaughlin: Mit 22, kurz nach meinem Grafikdesign-Studium, bekam ich einen Job bei Reebok. Damals war ich zum ersten Mal mit den riesigen Materialmengen konfrontiert, die in der Mode anfallen. Mein Schreibtisch quoll permanent über von Schuhmustern und Stoffproben, die wenig später einfach verbrannt wurden. Also begann ich, diesen Müll in meiner Freizeit mit anderen Dingen zu kombinieren, die ich zu Hause herumliegen hatte oder in Secondhand-Läden fand, und machte daraus etwas Neues.
Was war Ihr erstes Objekt?
Nicht das erste, aber eines der ersten war ein Schuh, den ich aus einem Volleyball geformt hatte. Dieser Schuh war wichtig für mich, weil mir danach klar war: Wenn man aus einem Volleyball einen Schuh machen kann, ist alles möglich!
Sie nennen das, was Sie machen, Upcycling. Wo ist der Unterschied zum Recycling?
Die Grenzen sind fließend, aber für mich ist es Recycling, wenn ich eine Plastikflasche in die richtige Tonne werfe, damit sie jemand anderes recycelt. Upcycling ist es, wenn ich für die Plastikflasche eine neue Bestimmung finde, zum Beispiel als Sitzfläche für einen Stuhl.
Welche Werkzeuge brauchen Sie für Ihre Kreationen?
Scheren, eine Nähmaschine, Stecknadeln, ein Bastelmesser, Lineal und Bleistift, Kaffee und eine offene Einstellung.
Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf Ihre Arbeit?
Es ist schwer, an Materialien zu kommen. Ich arbeite nun oft mit dem, was ich zu Hause finde: mit Verpackungen, Essbarem, letztens habe ich einen Handschuh aus Brot gemacht. Danach habe ich den Handschuh zum Frühstück gegessen, eigentlich das ultimative Upcycling.
Viele der Dinge, die Sie herstellen, sind nicht wirklich tragbar. Trotzdem orientieren Sie sich im weitesten Sinne an Kleidungsstücken. Warum?
Weil mein Körper eigentlich mein wichtigstes Werkzeug ist. Ich drapiere alles an mir selbst, um zu sehen, welche Formen Materialien wie alter Teddyfleece, Duftbäume oder eben eine Zitronenpresse annehmen und ergeben können. Eigentlich sind meine Sachen schon dazu da, getragen zu werden. Allerdings nehme ich die meisten von ihnen bald wieder auseinander, um die Einzelteile weiterzuverwenden. Manchmal kommt es mir vor, als arbeitete ich in einer ewigen Schleife, einiges upcycle ich schon seit Jahren. Aber darum geht es mir: den Dingen immer wieder eine neue Funktion und Gestalt zu geben und sie so wirklich nachhaltig zu machen.
Wie hat das Ihren Blick auf die Welt verändert?
Es hat mir gezeigt, dass nichts permanent ist. Jeder einzelne Gegenstand hat das Potenzial, etwas ganz anderes zu sein, man muss nur genau hinschauen. Ein bisschen wie beim Puzzeln.
Was halten Sie von den Anstrengungen, die viele Modefirmen unternehmen, um ihre Produkte umweltfreundlich zu machen?
Recycelte Baumwolle und Leder aus Pilzen oder Ananas sind toll, aber ich finde, sie lenken zu sehr vom eigentlichen Problem ab: dem Müll. Die Modebranche ist einer der weltweit größten Müllproduzenten. Leider sehe ich zu wenige ernsthafte Versuche, daran tatsächlich etwas zu ändern.
Was müsste denn passieren, damit sich was ändert?
Es müsste von vornherein weit weniger produziert werden. Firmen müssten die Lebensdauer von Kleidungsstücken radikal verlängern. Einige Marken bieten Rücknahmeprogramme für gebrauchte Kleidung an, das finde ich gut. Und natürlich tragen auch wir Käuferinnen und Käufer eine Verantwortung. Aus Einkaufen und Wegwerfen müssen Ändern und Reparieren werden.
Wie können Ihre Kreationen dabei helfen?
Viele Leute reden ungern über Nachhaltigkeit, weil das Thema so persönlich ist. Ich möchte, dass diese Leute meine Sachen sehen und denken: Das sieht lustig aus! Das kann ich auch! Und so Gespräche in Gang bringen. Denn wir müssen diese schwierigen Gespräche führen, ob wir wollen oder nicht.