»Ohne diese Platte hätten wir vermutlich nie etwas gemacht«

Neil Tennant und Chris Lowe haben als Pet Shop Boys mehr als 100 Millionen Tonträger verkauft. Hier erzählen sie vom Song ihres Lebens – und verraten, welcher Produzent sie zu den Künstlern gemacht hat, die sie heute sind. 

Die Pet Shop Boys bei einem Konzert in Zürich.

Foto: DPA

»Passion« von The Flirts

Neil Tennant: Der wichtigste Song unseres Lebens? Das ist wohl »Passion« von The Flirts. Du hast ihn zuerst gehört, Chris. Dann musst du jetzt darüber reden. Wir meinen schon die 12-Inch-Version, oder?

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Chris Lowe: Ach, das ist so lange her.

Tennant: Das muss wohl 1982 gewesen sein.

Lowe: So alt sind wir schon?

Tennant: Chris gehörte zu den Leuten, die im Club zum DJ rennen und fragen, welche Platte da gerade läuft. Er macht das heute noch. Ich erinnere mich, wie du vom DJ zurückkamst mit einem Zettelchen, und auf dem stand: »›Passion‹ von The Flirts«.

Lowe: Es war die Zeit, als fast alle Songs, die man in London hörte, von demselben Produzenten stammten: Bobby Orlando alias Bobby O aus New York. In den Läden der Carnaby Street, am Leicester Square – überall die Songs von Bobby O. Und einer dieser Songs war Passion. Ich weiß noch, wie ich mir die 12-Inch-Vinyl-Single gekauft habe. Sie kostete fünf Pfund, was…

Tennant: … skandalös teuer war!

Lowe: Ich hatte ja eigentlich keinen Penny. Was für eine brillante Produktion! Dieser glasklare Sound, die pure Elektronik, und dann dieser Gesang, der erst nach viereinhalb Minuten einsetzt. Die 12-Inch-Version ging ewig!

Welches ist das Lied Ihres Lebens?

Wir haben 29 Musikerinnen und Musiker gefragt – von Alanis Morissette über Lang Lang bis zu Tina Turner. Hier finden Sie die Protokolle aller Künstlerinnen und Künstler. 

Tennant: (singt) »I’m waiting for you, baby, it’s time for show and tell!«

Lowe: Wir waren damals wirklich besessen von Bobby O.

Tennant: Ich arbeitete zu der Zeit beim Musikmagazin Smash Hits. In der Redaktion gab es eine Kiste mit Platten, die »Müllkiste« genannt wurde. Damals wurden Musikredaktionen ja noch mit unfassbar vielen Platten bemustert, kostenlos, und die meisten dieser Platten landeten direkt in der Müllbox. Mir fiel irgendwann auf, dass es meistens Dance-Platten waren – sprich: Musik, die für die Rock-Kritiker in der Redaktion keinen Wert hatte. Ich blieb abends manchmal länger im Büro, bis alle weg waren, und ging diese Platten durch. Sie waren alle von Bobby O! Im Grunde klangen sie sehr ähnlich.

Lowe: Von ihm waren damals auch die Hits von Divine, zum Beispiel »Native Love« oder »Shoot Your Shot«. Wie gut sie im Club klangen!

Tennant: Im »Heaven« zum Beispiel. Wenn dort »Shoot Your Shot« lief, war das der Höhepunkt der Nacht.

Lowe: Dazu die Laserstrahlen, der Kunstnebel … Der Bobby-O-Sound war auch deswegen so besonders, weil er im Grunde wie Punk klang, obwohl er elektronisch war. So direkt! Seine Produktionen hatten immer etwas von diesem italienischen Juchhu!-Faktor, wie bei Italo-Disco oder Italo-Pop. Die Platte war der Beginn unserer Bobby-O-Leidenschaft, und diese Leidenschaft brachte uns Ende 1983 nach New York, wo wir zusammen mit Bobby O die erste Version unseres Hits »West End Girls« aufnahmen. Und wäre das nicht passiert, säßen wir jetzt nicht hier und würden darüber reden.

Tennant: Genau.

Lowe: Sprich, ohne diese Platte hätten wir vermutlich nie etwas gemacht, und aus uns wäre nichts geworden. Ich rieche förmlich noch den Club, wenn ich den Song höre.

Hier finden Sie sämtliche Protokolle der Musikerinnen und Musiker zu den Liedern ihres Lebens (SZ Plus).