Ich weiß nicht, was mich mehr schockierte: die Nachricht seines Todes, die für die Welt anscheinend so bedeutungslos gewesen ist, dass man kaum etwas davon mitbekam; oder die Erkenntnis, dass Guru, der Gott meiner Jugend, schon lange aus meinem Leben verschwunden war und ich nicht wusste, warum. Dabei hatte er damals, Anfang der Neunzigerjahre, mein Leben verändert. Das Stück Jazz Thing seiner Band Gang Starr war für mich die perfekte Verbindung von Erkenntnis und Ästhetik, von Lässigkeit und sprachlicher Eleganz – perfekt verpackt in rhythm and flow, dass man von Zeile zu Zeile auf Entdeckungsreise gehen konnte.
Hip-Hop, so gab Guru zu verstehen, war die coole Fortsetzung des Jazz mit anderen Mitteln. Er hat mir die Ohren geöffnet für eine Welt, die man in Heidelberg, wo ich damals studierte, nur von fern erahnen konnte. Zum Beispiel, wenn man die Wendeltreppe der Studentenkneipe »Cave 54« hinabstieg, wo Louis Armstrong, Dizzy Gillespie, Oscar Peterson und Ella Fitzgerald sich in den Fünfzigerjahren tatsächlich zu Jamsessions versammelt hatten. Ich nannte meine monatliche Nacht als DJ den »Jazzid-Club«. Ich mixte alten mit neuem Jazz, Acid und Samba zu einem Tanzabend, der immer mit Gang Starrs Jazz Thing begann. Als ich nun, fast zwanzig Jahre danach, versuchte herauszufinden, wie es mit ihm vor seinem Tod weitergegangen war, klang das alles so traurig, wie Geschichten eben klingen von Menschen, die man ohne klaren Grund aus den Augen verloren hat.
Es gab Streit mit seinem besten Freund und Gang-Starr-Partner DJ Premier. Natürlich ging es um Geld, genauer gesagt; um die Tantiemen. Dann noch ein paar Soloalben, die nicht mehr so gut besprochen wurden. Schließlich die Krankheit, Krebs, und ein Kollaps, der ins Koma führte. Noch vom Sterbebett ein paar verzweifelte Worte: Er habe ein wunderbares Leben gehabt und großartige Menschen kennenlernen dürfen. Und der Name eines Sohnes, den er hinterlässt, von dem nirgendwo steht, wer die Mutter ist. Das Ende des Mannes, dessen Sprachgewalt und samtene Stimme die Rapmusik entscheidend geprägt haben, ist deprimierend und ergibt keinen Sinn. Und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mir keinen Reim darauf machen kann, warum ich Guru, diesen großen Künstler, vergessen habe – so wie alle anderen ja auch.
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