»Ich habe gemerkt, wie sehr ich mit dem Begriff ›deutsch sein‹ ringe«

Manche Ideen waren schon früher nicht gut. Etwa die eines deutschen Ehepaars, das vor 130 Jahren das Dorf Nueva Germania in Paraguay gründete, um das deutsche Blut vor fremden Einflüssen zu schützen. Der Plan ging nicht auf, aber das Dorf gibt es noch. Die Fotografin Constanze Flamme zeigt, was daraus geworden ist.


Name:
Constanze Flamme
Alter:
geboren 1981 in Husum
Ausbildung:
Visuelle Kommunikation an der FH Potsdam, Fotografie-Studium an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam
Wohnort:
Berlin
Website:
www.constanzeflamme.de

SZ-Magazin: Ihre Bilder aus Nueva Germania wirken sehr zurückhaltend. Warum sind die Fotos so leise?
Constanze Flamme: Bisher ist das Dorf in den Medien eher reißerisch dargestellt worden, gern bebildert mit Fotos von blonden Jungen, die der Größe nach aufgestellt waren. Ich wollte mich den Menschen anders nähern.

Was meinen Sie damit?
Meine Herangehensweise war ein Abtasten des Ortes und der Atmosphäre. Die Bilder zeigen Momente einer Geschichte, die man nicht auserzählen kann – zumindest ich kann das nicht. Manche Bilder lassen den Betrachter auch ratlos zurück. Das finde ich aufrichtiger und interessanter.

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Was für eine Atmosphäre herrscht in Nueva Germania?
Ich habe dort eine große Isolation gespürt. Die Dorfbewohner habe ich als herzlich und neugierig erlebt, aber es gibt kein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl. Man spürt, dass die Familien entwurzelt sind, obwohl sie seit mehreren Generationen dort leben.

Wie sieht Nueva Germania heute aus?
Der Dorfkern ist vor allem von Paraguayern besiedelt und unterscheidet sich kaum von anderen Dörfern – bis auf die Straßennamen und schwarzrotgelben Markierungen. Die

Als Versuch, sich zu isolieren? Oder hat das andere Gründe?
Eine der Theorien zur Siedlungsgründung besagt, dass sich die Familien einzeln in Distanz zum Dorfkern verteilen sollten, um so die reine arische Rasse aufrecht zu erhalten. Wahrscheinlich ist das einer der Hauptgründe für das Scheitern des Projekts: weil jede Familie für sich sehr mühsam gegen Krankheiten und wilde Tiere kämpfen und sich mit einem Klima und einer Vegetation arrangieren musste, die in Nordosteuropa nicht bekannt waren. Die ersten 30, 40 Jahre waren die Menschen dort vor allem damit beschäftigt, zu überleben. Diese Zeit hat Spuren hinterlassen.

Welche Spuren?
Viele Bewohner sprechen noch deutsch, aber die Familien sind tatsächlich sehr vereinzelt. Es gab wohl Jahre der Geselligkeit, aber auch die Tradition gemeinsamer Weihnachts- und Dorffeste ist fast verschwunden. Es gibt jedoch sonntags eine Stunde deutsches Radio, das als Ritual gepflegt wird.

Wie gehen die Dorfbewohner selbst mit ihrer Geschichte um – als Nachfahren eines missglückten rassistischen Experiments?
Die Geschichte um Nueva Germania ist ziemlich schwammig und nicht dokumentiert; es gab dort keinen Dorfchronisten – die Geschichtsaufarbeitung erfolgt von außerhalb. Das Haus der Koloniegründer Elisabeth Nietzsche und Bernhard Förster ist abgebrannt. Auch das Haus, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg Gerüchten zufolge der Nazi-Arzt Josef Mengele gelebt haben soll, ist abgebrannt. Es gibt ein kleines Museum, das aber recht dürftig ist. Dafür gibt es eine Reihe journalistischer Beiträge über das Dorf, die zu hinterfragen sind. Diese haben auch dazu geführt, dass die Bewohner Medienvertretern misstrauisch gegenüber treten.

Welche Beiträge meinen Sie?

Etwa einen schon etwas ältereren Film der BBC, dessen Autoren massiv ins Dorfleben eingegriffen haben und beispielsweise blonde Kinder in Kutschen zu Musik von Richard Wagner durch das Dorf gefahren haben. Um ihre These zu stützen, dass das Dorf immer noch eine Kolonie im Sinne des Gründers ist.

Blonde Kinder, die zu Wagner-Musik Kutsche fahren – gab es das dort überhaupt jemals wirklich, oder ist das eher die Hoffnung der Gründer gewesen?
Die Siedler hatten ja von Anfang an keine Möglichkeit, sich wirklich abzuschotten und einen offenen Rassismus zu leben. Die waren auf die Hilfe und das Wissen der Einheimischen angewiesen – und das ursprüngliche Projekt wurde auch deshalb für gescheitert erklärt, weil es – natürlicherweise – Beziehungen zwischen Einheimischen und Siedlern gab.

Was interessiert Sie selbst an diesem Thema?
Generell bin ich an gesellschaftlichen Gesamtzusammenhängen und den psychologischen Auswirkungen von Krisen interessiert: Wie leben wir? Wie gehen wir mit Krisen um? Diese Fragen berühren mich. Und ich finde es interessant, dass da Ende des 19. Jahrhunderts einige arme Bauern aus Nordostdeutschland aufbrachen und – auch losgelöst von den sehr fragwürdigen Visionen der beiden Gründer – hofften, sie finden jetzt das Land, in dem Milch und Honig fließen. Gleichzeitig will ich die Geschichte des Ortes aber auch nicht verharmlosen.

Wie meinen Sie das?
Ich fand es problematisch und interessant, in der Distanz zur Heimat auf Themen wie Antisemitismus und die deutsche Geschichte zu stoßen. Und ich habe gemerkt, wie sehr ich mit den Begriffen »deutsch« und »deutsch sein« ringe. Der Gedanke, daraus eine Identität abzuleiten, ist mir fremd; genau diese Zuschreibungen versuche ich mit der Kamera und auf Reisen zu hinterfragen. Das beginnt schon damit, wie wir beispielsweise über das Dorf reden – mir geht es darum, Plattitüden im Denken und Sprechen so gut es geht zu vermeiden. Wobei es in der Bildproduktion immer genau diese Gefahr gibt. 

Fotos: Constanze Flamme