Wie Gott sie schuf

Wir stellen Ihnen jede Woche junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: Miru Kim, die sich nackt an verlassenen Orten fotografiert.

Name: Miru Kim
Geboren: 1981 in Stoneham, Massachusetts, USA. Aufgewachsen in Seoul, Korea
Ausbildung: Master of Fine Arts am Pratt Institute in New York
Homepage: www.mirukim.com

SZ-Magazin: Frau Kim, die meisten Menschen hätten Hemmungen sich nackt fotografieren zu lassen, zumal wenn die Bilder veröffentlicht werden. Sie nicht, warum?
Kim: Ich habe im Jahr 2004 angefangen, Orte in der Stadt zu erkunden, die selten besucht werden. Tunnel oder verlassene Fabrikgelände etwa. Als ich dort Schnappschüsse machte, habe ich gefühlt, dass etwas fehlte. Ich habe angefangen, mir ein lebendiges Wesen vorzustellen, das diese verfallenen Räume bewohnt. Kleidung ordnet die Bilder einer Zeit und einem kulturellen Hintergrund zu, das wollte ich nicht. Nackt korrespondiert der menschliche Körper besser mit dem Raum, am einfachsten war es mich selbst in Szene zu setzen. Am Anfang war ich es nicht gewöhnt, nackt vor der Kamera zu stehen, aber als ich entspannter wurde, habe ich gemerkt, wie die Räume selbst sich veränderten: raue Orte wurden ruhiger, düstere wurden hell.

Wie viele Länder haben Sie während der Arbeit an der Serie besucht und wie haben Sie diese ausgewählt?
Ich wähle die Städte recht willkürlich. Das erste Mal habe ich mich an einem verlassenen Platz in Berlin selbst nackt fotografiert. Ich hatte 2005 dort für fünf Monate studiert. Als ich zurück nach New York gegangen bin, habe ich dort weitergemacht. Seit dem habe ich unter anderem in Paris, Seoul, Istanbul, London, Montreal, Detroit, Philadelphia und Newark gearbeitet.

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Haben Sie alle Fotos alleine gemacht oder gab es jemanden, der Ihnen geholfen hat?
Entweder ich stelle die Kamera auf ein Stativ und benutze den Selbstauslöser, oder ich habe jemanden, der den Auslöser auf mein Zeichen betätigt. So kann ich natürlicher posieren, als wenn ich eine Fernbedienung benutzen würde.

Alleine und nackt an verlassenen Orten. Was wäre eigentlich, wenn Ihnen genau dann jemand begegnen würde?
Ich bin einmal in einem U-Bahn-Schacht auf einen Obdachlosen getroffen. Ich bin so erschrocken, dass ich gar nicht klar denken konnte. Als ich aber merkte, dass der Mann nicht aggressiv war, habe ich ihm einfach erklärt was ich mache, so wie jedem anderen auch. Nach dem Fotoshooting haben wir uns dann eine Weile unterhalten. Es muss ziemlich einsam sein, wenn man in einem Tunnel lebt.

Auf den Fotos sind Sie sind alleine zu sehen, warum niemals mit anderen Menschen?
Meine Bilder erzählen von Einsamkeit und der Anspannung in einer urbanen Umwelt. Der Titel steht dazu im Bezug. Der Begriff „Spleen" umfasst dieses Gefühl der Melancholie. Er wurde durch Baudelaire populär, der eine Sammlung von Prosagedichten unter dem Namen „Le Spleen de Paris" veröffenlicht hat. „Naked City" ist übrigens ein Spitzname von New York.


Die Orte, die Sie auswählen, sind entweder hoch über dem Boden oder im Untergrund. Warum?

In den letzten zwölf Jahren, ist New York City zu meiner Lieblingsstadt geworden. Die Insel Manhattan hat ein dichtes, mysteriöses Netzwerk von Menschen gemachter Strukturen, das sich 450 Meter über den Boden erhebt und 240 Meter tief in den Boden gräbt. Die fünf Bezirke von New York sind über mehr als 35 Brücken und Tunnel verbunden, die die Stadt zu einem Wunderwerk an Ingenieurskunst, Architektur und Design machen. Die Anatomie und Psyche der Stadt ist so komplex wie die eines Menschen. Die meisten Stadtbewohner ignorieren dabei die Teile der Infrastruktur, die man nur selten zu Gesicht bekommt. Diese verlassenen Orten bildet das Unterbewusstsein der Stadt, wo sich das kollektive Gedächtnis und die Träume befinden. Auf Brücken oder Türmen eröffnet sich auch eine Perspektive auf die Stadt, die den Blick auf die vierte Dimension freilegt: die Zeit.

Fotos: Miru Kim