Vor sechs Jahren bin ich mit 750 Heavy-Metal-Fans in einem Zug quer durch die Republik gefahren, eine ganze Nacht lang. Ziel war das damals noch nicht ganz so bekannte Wacken Open-Air-Musikfestival, der Zug hieß »Metal Train«, in ihm herrschten konstante 112 Dezibel.
Die Mitreisenden waren in der Mehrheit jung, in der Mehrheit männlich und in der Mehrheit langhaarig. So weit stimmten meine Erwartungen. Ich hatte ebenfalls erwartet: Die wildesten aller wilden Gesellen, die tagsüber in schmuddelig-kühlen Großstadtkellern in Särgen schlummern und nachts Babykatzen die Köpfchen abbeißen. Die sie dann mit geklautem Dosenbier herunterspülen, weil der olle Satan das so will. Die Metal-Klischees eben.
Stattdessen traf ich im Metal-Train: Sehr höfliche Projektleiter für Automatisierungstechnik, Facharbeiter in Gießereien und Mechatroniker, die von Energieeffizienzklassen bei Kühlschränken schwärmten. Tagsüber trugen sie wohl kurzärmlige Hemden, abends und am Wochenende die schwarzem T-Shirts mit den Bildern aus der Geisterbahn. Sie kamen aus Kleinstädten wie Burladingen, Oberboihingen oder Kornwestheim und fingerten das Geld für ihr Dosenbier teilweise aus Brustbeuteln. Typische Metal-Fans eben, wie ich es heute besser weiß.
»Wo die wilden Mähnen wohnen«, das ist nicht Ghetto, das ist nicht Großstadt, sondern eher auf dem Land. Wo die Hecken im Gegensatz zu den Haaren äußerst akkurat gestutzt sind, wo Familie das wichtigste ist. An diese Erkenntnis erinnerte ich mich, als ich in der vergangenen Woche gleich zwei Studien las, in denen Heavy-Metal-Fans vorkamen - und zwar jeweils ganz, ganz weit oben im Ranking:
- Metal-Fans sind laut einem Seitensprungportal die treusten und monogamsten unter allen Musikhörern. Während 19 Prozent aller Jazzer fremdgehen, tun das nur zwei Prozent derer, die gerne ihre Finger zur Pommesgabel formen.
-Eine andere Studie untersuchte die Generation, die in den Achtzigern jung war. Ergebnis: Die Metaler unter ihnen waren in ihrer Jugend »signifikant glücklicher« und sind heute »deutlich ausgeglichener«.
Zur Erklärung könnte man wieder auf die Klischees zurückgreifen und sagen, dass der Prototyp Metaler mit dem ausgewaschenen Band-T-Shirt und der vom umherfliegenden Bier getränkten Mähne nicht unbedingt ins Beuteschema von sexuellen Abenteurern fällt. Zumal das Anbandeln eher schwer fällt, wenn man sich Bierdosen stechend bei 112 Dezibel ins Ohr schreit. Hier macht Gelegenheit eben keine Liebe, da ist man mit sanftem Jazz und Rotwein klar im Vorteil.
Die zweite Studie zu deuten ist schon schwieriger. Woher kommt das frühe Glück in der Kindheit der bleichen Trauerweiden? Vielleicht daher: Bei all ihrer Dusterheit sind Metaler die letzten verbliebenen Romantiker. Die gerne in Fantasywelten eintauchen und dort zum Elfen werden. Die mit Met auf das verbindende Außenseitertum anstoßen und Balladen hören, bei denen die Schnulzigkeit des Textes selbst die allerhärtesten Gitarrenriffs in Zucker ertränkt. Wer sich außerdem über Frisurentrends, Mode, neue Musik und Zwischenmenschliches nur wenige Gedanken machen muss, bei dem ist das Leben scheinbar nie endende Sommerferien am Baggersee.
Was sich mir hingegen aber gar nicht erschließt: Dass Metaler auch noch »deutlich ausgeglichener« sein sollen als wir Indie-, Pop-, Klassik-, Rap-Fans. Auf Konzerten kräftig die Haare zu schütteln, das ersetzt doch nicht für ein Leben lang den Abendsport. 112 Dezibel pusten doch nicht die Sorgen und Nöte eines ganzen langen Lebens weg. Oder?
Bleibt als Erklärung für den Seelenfrieden der Satansjünger also nur das gemächliche Leben in der Provinz, mit gestutzten Hecken, geregeltem Job und garantiert monogamer Paarbeziehung, bis dass Odin einen scheidet. Sollte man das mal anrecherchieren, so ganz ergebnisoffen?
Fotos: Getty