Der Fotograf Konrad Rufus Müller hat sie alle vor der Kamera gehabt: Konrad Adenauer, Willy Brandt, Helmut Kohl – und sogar Kohls Gartenzwerg, der eine wuchtige Kassenbrille trug. Müller fotografierte den Gartenzwerg im Kanzlergarten von Oggersheim. Im Schatten einer querflötenden Sandstein-Putte schiebt der Zwerg eine Schubkarre auf der Stelle. Ein Bild wie Deutschland, das völlig in Vergessenheit geriet.
Erst als Müllers Schwägerin die Fotos zu Kohls 80. Geburtstag sichtete, tauchte der Kanzler-Zwerg wieder auf. Verewigt ist er nun als Schlussbild in Müllers neuem, zweibändigem Kohl-Buch – Helmut Kohl: In Geschichte und Gegenwart / Auf dem Weg – und gibt zugleich Rätsel auf: Wo kommt der Zwerg her? Und wo ist er hin? Menschen, die Kohl in letzter Zeit besucht haben, mussten nämlich feststellen: Der Zwerg ist verschwunden. Opfer eines Diebstahls? Oder ging er beim Frühjahrsputz zu Bruch? Weder der Hausherr noch seine Frau konnten Auskunft darüber geben. Angeblich hatte schon Hannelore Kohl ein gespanntes Verhältnis zu dem Zwerg, der kurz nach dem Mauerfall in den Garten einzog.
Das berichtet Eckhard Seeber, 46 Jahre lang Fahrer und nebenbei auch Gärtner, Hausmeister und Berater im Hause Kohl. »Ecki«, wie Kohl ihn nennt, kann sich gut an den Zwerg erinnern, ein Geschenk der Saunafreunde, überreicht zum 60. Geburtstag.
Der Zwerg muss eine Sonderanfertigung gewesen sein. Denn in den beiden führenden deutschen Gartenzwerg-Kollektionen der Eheleute Griebel (Zwergenkaufhaus, Rot am See, Insolvenz 2001) und Andreas Klein (100 % Zwergenpower, Hünstetten-Beuerbach) finden sich Scharping, Blüm, Waigel und Kohl als Spardose – aber kein Kohl-Zwerg mit Schubkarre.
Ein Unikat also, dessen Wert nicht zu beziffern ist. Aber wie kann der Zwerg einfach verschwinden aus einem Garten, der ohnehin nur aus Pool, Tisch, Stühlen und Rasen besteht? »Vielleicht seine Kinder, mit dem Fußball«, vermutet Seeber. Als Kohl 60 wurde, waren seine Buben Walter und Peter allerdings auch schon 27 und 25, also aus dem gröbsten Kicker-Alter heraus. »Oder ein Baum, der beim großen Sturm umgefallen ist«, sagt »Ecki«. Doch warum hat dann die Putte den Sturm überlebt? Leider mag sich auch das Büro Kohl nicht zum Verbleib des Gartenzwergs äußern.
Und was, wenn er irgendwann doch wieder auftaucht? Ins Bonner Haus der Geschichte kann er nicht. Im Innenhof steht bereits ein Kohl, zwischen Waigel, Blüm und Genscher. Außerdem: Dass ein Zwerg im Garten eines Politikers stand, macht ihn noch nicht ausstellungswürdig, heißt es aus dem Haus der Geschichte. Die Einsamkeit der Macht – sie könnte also auch den Gartenzwerg des Ex-Kanzlers treffen.