Da saß sie nun vor ihm, das erste Date, und sie gefiel ihm, hübsch war sie, und so klug, was sie alles über Frauenrechte wusste! Und sie hatte Pläne, studierte Soziologie, ja, sie dachte nicht nur an sich, sie wollte im Leben für andere Menschen da sein, auch im Beruf, nicht nur reden, was tun, raus in die Welt, nach Afrika, Hilfsprojekte oder so. Ach, eine wunderbare Frau. Dass ers jetzt nur nicht vermasselt.
Sie schien ihn ja auch zu mögen, hörte ihm aufmerksam zu, er kann gut erzählen mit seiner tiefen Stimme, und sie sah ihn lange an, Mads Thorsdal, 27, weiches Gesicht, grüne Augen, große Brille. Das Gestell passt zu ihm. Durch und durch Geek. Als Kind bastelte Mads Rechner aus Papier, und früh hatte er gelernt zu programmieren, er baute Webseiten. Ballerspiele haben ihn nie interessiert.
Und nun? Hatte er ein Start-up gegründet? Ja. Mit Rasmus, seinem besten Freund, dem Primus seiner Schule. Aha, spannend. Was für eine Firma? Nun, Reise-Business. Oh!, sie reiste für ihr Leben gern, so etwas könnte sie sich für ihre Zukunft auch vorstellen. War es also so was wie Booking.com? Nein, nicht ganz, kein Buchungsportal, mehr eine Reiseagentur, mit Beratung. Und ja, sie sind recht erfolgreich. Mads wurde ein wenig flau. Den Namen der Firma verriet er besser mal nicht. Auch sonst keine Details. Irgendwie kam er da raus. Sie mussten los. Schön war’s. Ja, schön. Bis bald! Ja, bis ganz bald.
Was aber, fragte sich Mads danach, wenn sie ihn nun googelt? Seine Seite findet?
PISSUP REISEN
Pistolen, Pils und Puppen. Europas Reiseagentur für Junggesellenabschiede.
Eigentlich, sagt Rasmus, ebenfalls Däne und Pissups zweiter Chef, wollte er Astrophysiker werden. In Physik, Astronomie und Philosophie hatte er sich eingeschrieben. Er verehrt Niels Bohr, Stephen Hawking, Albert Einstein. »Ich finde den Gedanken faszinierend, allein mit dem Verstand Galaxien zu durchdringen, die Welt zu verstehen. Das ist für mich das Höchste.«
Rasmus, ein 27-jähriger Mann mit blondem Bart, redet so schnell, dass der Mund den Gedanken kaum hinterherkommt. Geht es mal wieder allzu flink, macht er lustige Geräusche, ein Stoßen der Zunge gegen die Lippe, ein trockenes Spucken, je lustiger das Geräusch, desto klüger, was darauf folgt. Meistens spricht er über Trends und Märkte. Astronomie und Physik sind zur Nebensache verkommen, er widmet sich ernsteren Dingen: dem Junggesellenabschied. Geldverdienen.
Er ist – zum Entsetzen seiner Mutter – da irgendwie reingeraten, erzählt er. Noch auf der Schule hatten Mads und er die Abschlussfahrt geplant, nach Prag. Es machte ihnen Spaß, und so organisierten sie auch Fahrten für andere Klassen. Es brachte ein wenig Geld, mehr als zu kellnern oder Post auszutragen, und gern fuhren sie auch noch mit.
Auf einer solchen Reise, im Herbst 2006, lernten sie an einer Bar einen Briten kennen. Der erzählte von seiner Firma Pissup (»Saufgelage«). Es gab da diesen Trend, seit der Jahrtausendwende: Zur »Stag Party«, dem Jungesellenabschied, stiegen die Engländer in Billigflieger und flogen nach Budapest, Warschau, Prag. Ein Tourismus, für den es keine Anbieter gab. Der Brite war einer der Ersten im Markt, er hatte 2001 losgelegt. Der Wahlspruch: »You do the drinking, we do the thinking.«
Pissup bot Wochenenden in Osteuropa an, pauschal, bis auf den Flug: Transfer, Hotel, Sightseeing (Bars), Kultur (Striptease) und Sport (etwa Panzerfahren). Alleinstellungsmerkmal: Fremdenführer, die Gäste von Bar zu Bar bringen und bei kleineren Sorgen wie Alkoholvergiftung, Hotelverweis oder Verhaftung zu Hilfe eilen. Fabelhaftes Wachstum, sagte der Brite, mehr als 10 000 Kunden im Jahr, er könne also Hilfe brauchen. Mads und Rasmus seien doch junge kluge Leute und eh schon im Reisegeschäft. Ob sie nicht einsteigen wollten? Pissup in Skandinavien aufbauen?
Sie wollten. Was für eine Chance, dachten sie: In wenigen Jahren war ein Markt von Hunderten Millionen Euro entstanden. Und sie mussten kaum starke Wettbewerber fürchten: Die großen, traditionellen Konzerne trauen sich nicht in dieses peinliche Geschäft.
Es war eine Topmanagerin von Ford, die ihm riet, in diesen Zweig einzusteigen, sagt Max Bowen. Der Engländer gab seinen Job als Finanzberater auf und ging zu Pissup, 2004 war das, lange vor Mads und Rasmus. Max hat den Laden mit aufgebaut, die Goldgräberjahre erlebt, hat gesehen, wie das Geschäft sich wandelte, wie vor einem Jahr der Gründer ausstieg und Mads und Rasmus die gesamte Firma übernahmen. Max hat ein raues Lachen, kann eine Kuh totreden, ist also der beste Verkäufer und mit 46 Jahren die gute Seele, der Papa des Unternehmens. Er lebt in Budapest, dieser für Pissup wichtigen Stadt. Ab und an schließt Max sich den Kunden an, und gern erzählt er davon: Wie ihm am Flughafen 16 Elvis-Doubles entgegenkamen, mit Perücken, Ray-Ban-Brillen und Glitzeranzügen. Wie ein Gast sich des Nachts verlief, in ein fremdes Luxushotel schlich, dabei nicht auffiel, weil er einen Smoking trug, morgens unter dem Tischtuch des Buffets erwachte und vor aller Augen rauskroch. Har, har. Weniger lustig war, als ein Rugbyteam in der Kneipe den großen Einfall hatte, durch eine geschlossene Tür zu laufen; es endete mit doppeltem Bruch: der Tür und einer Schulter. Und bei der einen oder anderen Geschichte wird Max richtig ernst. Ein Kunde starb in der Sauna. »Wir sagten den Freunden des Toten: Wir bringen euch zurück, kostenfrei. Doch die sagten: Wieso? Wir bleiben.« Dann gab es noch diesen Tag, an dem ein Gast vom Auto angefahren wurde. »Richtig angefahren, nicht nur gestreift. Er flog meterweit. Danach standen alle da, warteten auf den Notarzt. Da sagte einer aus der Gruppe: ›Wo gehts zu unserem Stripclub? Wir können ja dort warten.‹«
Max macht eine Pause. »Ja, die meinen das ernst mit der Party. Wirklich ernst.« Genau das macht das Geschäft so leicht. »Wir verkaufen etwas, was die Leute wollen. Du schwatzt ihnen keinen Investmentfonds auf. Du fragst: Wie viel Geld habt ihr? Und dann zeigst du ihnen, was du draus machen kannst.«
»Wenn du den Trauzeugen hast, hast du den Rest der Gruppe.«
Links: Nächste Marktlücke: Junggesellinnenabschiedsreisen. Rechts: Laut einer Umfrage unter britischen Stag-Party-Touristen löschen 59 Prozent vor der Heimreise alle geknipsten Bilder. Warum nur?
Sieben, acht Jahre lang verdiente Pissup das Geld vor allem, weil sie Pioniere waren. Der Markt war hungrig, mit jedem Bräutigam kamen zehn mögliche Kunden, waren die zufrieden, gingen sie später selbst auf Pissups Webseite und buchten und brachten wieder neue Kunden mit. Pissup musste also nichts tun, außer dafür zu sorgen, dass man sie bei Google findet und die Reisen gut sind.
Doch dann kam das Jahr 2008, die Finanzkrise, und die Leute hatten nicht mehr 300 oder 500 Euro pro Kopf für ein Wochenende mit Bier, Stangentanz und Kalaschnikow-Übungen. Der Markt schrumpfte, der Wettbewerb wuchs, aber das alte Management von Pissup glaubte weiter, ein gutes Angebot und ein gutes Google-Ranking würden reichen.
Sie verloren Kunden an Rivalen wie Chillisauce oder Hen Heaven, die in die IT investierten und zum Beispiel das Buchen erleichterten, damit Gruppenmitglieder einzeln zahlen können; eine wichtige Sache, sagt Max, nichts nervt den Trauzeugen mehr, als in Vorleistung zu gehen und später seinem Geld hinterherzulaufen. »Wenn du den Trauzeugen hast, hast du den Rest der Gruppe. Um ihn musst du dich kümmern. Denn er überzeugt die anderen.«
Auch für Mads und Rasmus lief es in der Zeit nicht gut. 2007 hatten sie in Dänemark die Tochterfirma gegründet. Sie durften Pissups Hotelnetz und Fremdenführer nutzen, dafür mussten sie Geld zahlen. Sie legten los. Erst mal Werbung machen, bekannt werden, Kunden gewinnen, das Einmaleins des Wirtschaftens: Ein Neuling muss Marktanteile erobern.
Dumm war: Es gab keinen Markt. Die Dänen, Schweden und Norweger haben, anders als die Briten, keine Tradition für Saufreisen. Das Produkt von Mads und Rasmus war so gesehen wertlos und der Versuch, dafür zu werben und ihre Webseite bekannt zu machen, geradezu albern. Was ein Kunde nicht will, bucht er nicht, da kann man ihm noch so oft sagen, wo er es bekommt. Nein, sie mussten nicht für Pissup werben, sie mussten erst mal das Ritual bekannt machen, die Junggesellenabschiedsreise. Push statt Pull heißt das im Marketing.
Als sie es endlich kapiert hatten, änderten sie ihre Strategie: Sie boten ihr Thema dem Boulevard an, Fernsehen und Zeitungen, herauskamen die Berichte, die Mads Date später googeln sollte: Bilder von Jungs in Ganzkörperkondomen, Geschichten über Hummer-Limousinen, Saufwettbewerbe und Flüge in tschechischen Militärjets. Auf Facebook konnten sie nur schwer werben: Ein Geschäft, bei dem es um Alkohol geht, blanke Brüste und das Schießen mit Waffen, kommt da nicht in Frage.
Sehr langsam wurden die Stag Partys bekannt. Ab 2011 lief ihr Geschäft, vor allem weil sich herumsprach, dass in Budapest eine Runde so viel kostet wie zu Hause ein Glas. Sie wurden Nummer eins in Dänemark, Norwegen und Schweden, so gut lief es, dass Rasmus’ Mutter, eine Buchhalterin, als sie die Zahlen sah, nicht mehr ganz so entsetzt war. Mads und Rasmus überflügelten die Firmenmutter, 2014 übernahmen sie Pissup vollständig, zusammen mit einem Investor aus der Schweiz. »Es ist schon ein großes Risiko«, sagt Mads. »Mein ganzes Geld steckt darin und viel mehr. Wenn das schiefgeht, muss ich das zehn Jahre lang abbezahlen.«
Der Kauf war aber der logische Schritt. Mads und Rasmus waren zu den Treibern der Firma aufgestiegen, die Briten zugleich in deren Heimat zurückgefallen. Der Chef von Hen Heaven freut sich öffentlich darüber, dass er bald 15 Millionen Euro umsetzen wird – da zucken Rasmus und Mads nur mit den Achseln: Nein, das werden sie in England nicht so schnell aufholen. Die Zukunft liegt eh woanders, sagt Mads: »Deutschland ist so vielversprechend wie einst Großbritannien.« Zwanzig Millionen Deutsche können Prag in zwei, drei Stunden erreichen, ohne Flug, mit dem Auto. Und es gibt – zum Glück! – schon Wettbewerber, Party-Kings, Jochen Schweizer oder Mydays, die sind nötig in einem jungen Markt, denn sie helfen mit, das Ritual zu verankern. Mit einem, Jochen Schweizer, arbeitet Pissup sogar zusammen.
Und wächst der deutsche Markt, dann folgt, nachdem die betuliche Hexennacht durch Halloween abgelöst wurde, nun der Abschied vom alten Polterabend. In diesem Jahr ist die Häufigkeit der Google-Suchanfrage »Junggesellenabschied Prag« um 49 Prozent gestiegen. »Dabei haben wir noch gar nicht richtig losgelegt. Nach der Übernahme ist das unsere erste Saison«, sagt Mads.
Strategiewoche in Budapest. Mit ihren wichtigsten Mitarbeitern haben sich Mads und Rasmus Ende Februar 2015 im feinen Stadtteil Buda eingemietet, in der Villa neben der deutschen Botschaft. Stuck und Wendeltreppe; Wifi, Flipboard und Beamer. Es sind Tage ohne Party, nicht mal eine Kneipe in der Nähe. Schon in der Früh sitzen sie zusammen: Annabelle, die Frankreich-Chefin; Franziska und Mike, das Deutschland-Team; Max natürlich. Das Programm: Strategic Market Development und Customer Relation Management. Sie erwägen auch, den Namen zu ändern, Trend ist nicht mehr allein die Saufreise, etwas Anspruch soll rein, Katamaran-Fahrten, ein Besuch im Rätsellabyrinth, und sie bauen ein Angebot für Frauen auf, chamica.de: keine Ballerspiele oder Billigdrinks, sondern nette Hotels, gutes Essen, Strand, gern Stripper.
Lange Tage, Vorträge, dazwischen immer wieder Anrufe und Mails mit Kunden, das Geschäft muss weiterlaufen. Einmal stellt Max einen Anrufer laut:
Hello?
… (Unfassbarer Akzent, keiner versteht etwas.)
Wie viele Leute seid ihr?
Zwölf bis 15.
Also zwölf. Wie wärs mit Schießen? Ballern gehen? Oder ist das zu sehr wie bei euch zu Hause in Manchester?
Har, har.
Wir haben Kalaschnikow-Schießen.
… (Klingt wie »Langweilig.«)
Wie wäre es mit Kart-Rennen?
… (Klingt wie »Laaangweilig!«)
Und eine Bootsfahrt? Mit Stripperinnen?
Oh, ja, deswegen rufe ich an! (Begeistertes Blabla.)
Okay, passt auch irgendwie am besten für euch. Ich schick ein Angebot. Cheers.
»Also, so könntest du in Deutschland nicht mit den Leuten reden«, sagt Franziska danach. Dort ist es schon mühsam, den Gästen das Sie abzugewöhnen. Auch wissen Deutsche noch nicht, was sie wollen. Dieser Danny aus Manchester hat alles schon gesehen und bestellt jetzt in seiner Mittagspause genau ein Party-Angebot, für 35 Pfund pro Person – dagegen muss man den Deutschen erst mal erklären, dass der Flug nicht inklusive ist. Was man in Bratislava oder Amsterdam überhaupt so machen kann. Und es schadet nicht, sie darauf hinzuweisen, dass Pissup von den Kunden bei Trustpilot 9,1 von 10 Punkten bekommt, dass ihnen Unternehmerpreise zuteil wurden und ein Triple-AAA-Kredit-Rating.
Ob solche Argumente auch Mads Traumfrau überzeugten? Ja, natürlich hat sie ihn damals gegoogelt, als sie nach dem Date wieder zu Hause war. Und: What the fuck? Trotzdem erschien sie zum zweiten Treffen. Also? Nun ja … Mads redete rum. Es ist nicht so, wie es scheint. Und es gibt ja auch viel Gutes zu sagen: Schaffen Unternehmer nicht Arbeitsplätze? Überhaupt, sein Leben besteht ganz bestimmt nicht aus Pils, Pistolen und Puppen, jedenfalls nicht das private. Sie hörte es sich an. Und nickte. »Sie findet es nicht gut, aber sie akzeptiert es«, sagt Mads. Die beiden sind zusammen. Und sie arbeitet nun auch in der Reisebranche. Nicht bei Pissup: Sie organisiert Reisen in arme Länder, für Menschen, die helfen wollen, etwa beim Brunnenbau.
Rasmus Christiansen, Mads Thorsdal
Die beiden Dänen stiegen 2007 bei Pissup ein, 2014 übernahmen sie die Agentur komplett. Pissup ist eine der führenden Stag-Party-Agenturen in Europa, in Deutschland bekannter wurde sie durch Clips mit dem Echo-Gewinner Kollegah.(Fotos: Custom Tours GmbH)
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Feiern
In Budapest verfielen im Sozialismus viele Häuser. Darin entstanden die »Ruin Bars«. Die lässigste ist der Komplex »Szimpla Kert«, ein Ort, wie ihn auch Berlin gerne hätte.
Übernachten
Wer keinem Junggesellen auf Abschied begegnen will, ist gut im »Hotel Baltazar« aufgehoben, im feinen Stadtteil Buda. Feiern und schön wohnen lässt sich im kleinen »Ambra« nahe der Szenemeile Király utca. Sie haben auch Apartments.
Unbedingt
Budapest ist die Stadt der Bäder. Die Klassiker: das berühmte Gellért-Bad, das Rudas-Bad im osmanischen Stil aus dem 16. Jahrhundert und das riesige, neubarocke Heilbad Széchenyi, in dem manchmal DJs auflegen, sodass die Party weitergeht
Fotos: András Hajdú