SZ-Magazin: David Farell, ist das Ihr richtiger Name?
David Farell: Natürlich nicht. Ich komme aus Stralsund, da heißt man nicht so. Aber meinen richtigen Namen lassen wir hier lieber raus.
Können Sie erklären, warum so viele Menschen glauben, dass zu einem Jungesellinnenabschied ein Stripper dazugehört?
Es ist ein Klischee, vermutlich finden es deshalb viele gut. Möglicherweise wollen auch einige Frauen das Gefühl haben, ein letztes Mal vor der Ehe eine Grenze zu überschreiten. Aber Stripper sind keine Grenze. Beim Strippen passiert nichts Sexuelles. Ich bin nur eine Fantasie. Außerdem waren meine liebsten Tänze immer die, in denen ich zeigen konnte, dass ich mehr bin als das Klischee. Wenn das Kichern der Gäste irgendwann in Begeisterung und vielleicht sogar Staunen umschlug – weil sie merkten, dass ich mir Mühe gebe und das richtig gut kann.
Wie kamen Sie zum Strippen?
Ich habe eigentlich eine Ausbildung als Energieelektroniker für Gebäudeleittechnik gemacht. Eine Woche bevor der Lohn kam, war mein Konto leer. Jeden Monat. Meine Einnahmen haben nicht so wirklich zu meinem Lebensstil gepasst. Ich war zu dieser Zeit viel in Berlin, zum Partymachen, das war meine Welt, da wollte ich hin.
In Berlin wurden Sie von jemand angesprochen, der Kontakte in die Strip-Szene hatte.
Ja, der hat mir vom Dollhouse in Hamburg erzählt. Das ist ein Strip-Schuppen, in dem auch Männer tanzen. Ich stand schon immer gern auf der Tanzfläche und konnte mich gut bewegen. In Stralsund gab es nicht viel zu tun, da verbrachte ich meine Freizeit im Fitnessstudio und sah entsprechend auch ganz okay aus. Eine Woche nach dem Gespräch in Berlin fuhr ich nach Hamburg, wo ich direkt zum Gewerbeamt ging und mir eine Steuernummer holte. Nochmal eine Woche später stand ich zum ersten Mal auf der Bühne. Da war ich 21, seitdem lebe ich vom Tanzen.
Sie tanzten drei Jahre in Hamburg an der Stange. Warum sind Sie nicht mehr im Dollhouse?
Es war ein Knochenjob. Ich habe dort jede Nacht neun Stunden getanzt. Danach schlief ich den halben Tag, aß was und dann ging es wieder an die Stange. Irgendwann kannte nichts mehr außer dem Dollhouse und der Großen Freiheit, der Vergnügungsmeile an der Reeperbahn auf St. Pauli. Da wächst der Horizont nicht unbedingt. Und dann war da noch das Geld: Im Club bekam ich eine Grundgage, die nicht besonders hoch war. Für jeden Tabledance bekam ich 15 Euro und für jeden Dollar, der mir ins Höschen gesteckt wurde, nochmal einen Euro. Am Ende waren das so 200 Euro, für neun Stunden harte körperliche Arbeit.
»Wir haben von Anfang an Wert darauf gelegt, nicht billig auszusehen«
Sie gründeten dann mit einem Kollegen die »Berlin Dream Boys«, aus denen später die »SIXXPAXX« hervorgingen, Ihre Strip-Gruppe, mit der Sie auf Tourneen gehen. Heute tanzen Sie nicht mehr auf Junggesellinnenabschieden, sondern auf großen Bühnen vor Tausenden von Zuschauern – wie haben Sie den Sprung geschafft?
Mit Professionalität und harter Arbeit. Wir haben zum Beispiel von Anfang an Wert darauf gelegt, nicht billig auszusehen: Wenn wir als Navy Offiziere verkleidet tanzen wollten, dann bestellten wir dafür uns Original-Kostüme aus den USA. Außerdem engagierten wir einen richtigen Fotografen, der uns in Szene setzte, und stellten nicht irgendwelche Handyfotos von uns auf die Website. Das alles sprach sich offenbar rum, und irgendwann kam der Anruf einer Produktionsfirma.
Die lud Sie nach Vegas ein.
Genau. Die wollten zwei Jungs, die nach Las Vegas reisen, um die Chippendales kennenzulernen. Wir waren total aufgeregt, das sind ja die größten Stars in der männlichen Strip-Szene.
Und dann?
Sind wir rübergeflogen und haben einen Tag mit den Chippendales verbracht.
Und was machen die Chippendales so den ganzen Tag?
Spraytanning! Wir sind zum Spraytanning gegangen. Dann waren wir trainieren, haben mit denen gut gegessen und sie haben uns das Theater gezeigt, indem wir mit ihnen tanzen sollten. Einen Abend vor unserem Auftritt haben wir uns deren Show angesehen. Wir waren beide sehr aufgeregt. Ich meine, das waren die Chippendales in Las Vegas! Dann fing die Show an, und ich sag mal so: Mein emotionaler Pegel blieb eher in der Mitte.
Es hat Ihnen nicht gefallen?
Das war nicht schlecht. Aber auch nicht gut. Höchstens okay. Für meinen künstlerischen Anspruch zumindest deutlich zu wenig.
Wie lief Ihr eigener Auftritt bei den Chippendales?
Denen ist natürlich die Kinnlade runtergefallen! Obwohl wir unsere Show gar nicht mit allen Details durchziehen konnten. In Deutschland holen wir immer Frauen aus dem Publikum und wirbeln sie auf der Bühne durch die Luft. In Amerika darf man das nicht, da wird man direkt auf Millionen verklagt, wenn irgendwas passiert. Deshalb haben wir die Managerin der Chippendales auf die Bühne gebeten und für sie getanzt. Hat auch funktioniert.
Flogen Sie dann enttäuscht zurück nach Deutschland?
Nein, gar nicht. Die Show der Chippendales hat uns überzeugt, dass wir das auch können. Das war die Initialzündung. Wir wussten, dass wir besser sind als die, und wir wollten auf die Bühne. Im Nachhinein war die Show in Las Vegas wohl mein wichtigster Tanz. Denn danach haben wir die »SIXXPAXX« gegründet.
Hat man als Stripper eigentlich Familie?
Offiziell sind wir natürlich alle Single. Ich kann aber verraten, dass es in der Branche viele Familienväter gibt. Wenn einer der Jungs eine Frau kennenlernt, lade ich die auch immer zu unseren Shows ein. Ich will ja nicht, dass mich einer anruft und sagt, er kann nicht mehr tanzen kommen, weil seine Freundin Stress macht.
Konnten Sie Ihrem Beruf in der Coronakrise überhaupt noch nachgehen?
Auftritte waren vier Monate nicht möglich, natürlich. Aber vergangene Woche durften wir unter Einhaltung des Mindestabstandes und nach Erarbeitung eines Hygienekonzepts unser neues Theater am Potsdamer Platz öffnen. Wir dürfen den Saal zwar nur halb voll machen, aber wenigstens können wir wieder auf der Bühne tanzen. Und gerade jetzt möchten wir den Menschen ja wieder ein bisschen mehr Freude ins Leben bringen.
Was ist das Schönste an Ihrem Job?
Wir ziehen uns für Geld aus, man könnte meinen, dass wir damit nichts zur Gesellschaft beitragen. Aber wir schenken den Menschen Spaß und Unterhaltung. Wir hatten einmal eine Frau auf der Bühne, die war 89 Jahre alt. Der ganze Saal hat applaudiert, als ich mich für sie ausgezogen habe. Die Dame hatte ein Lächeln auf den Lippen, es war richtig schön. Ich finde, ich habe eine sehr, sehr dankbare Aufgabe.