Ein Wortschatz wie ein Waffenschrank

Mit der Gartenarbeit auf Kriegsfuß stehen, an allen Fronten kämpfen, den Einkauf im Eifer des Gefechts vergessen: Unsere Alltagssprache steckt voller Krieg und Gewalt. Ist es an der Zeit, sprachlich abzurüsten?

Illustration: Moritz Wienert

Alle Vögel sind schon da,
alle Vögel, alle.
Welch ein Singen, Musiziern,
Pfeifen, Zwitschern, Tiriliern!
Frühling will nun einmarschiern …

Schluck.

Einmarschieren. Plötzlich dieses Wort. Vom Tirili zur Ukraine in nur einer Zeile. Dass der Frühling eigentlich noch »mit Sang und Schalle« kommt, will man dann schon gar nicht mehr singen. Alles falsch. Alles schrecklich.

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Da draußen ist Krieg. Und die grausigen Nachrichten aus Kiew und Mariupol, die immer neuen Bilder und Meldungen machen einem auf einmal übel bewusst, was man da eigentlich gedankenlos für eine Sprache spricht, tagaus, tagein. Es bleiben einem jetzt ständig die Worte im Hals stecken. Die Freundin, die nach einem arbeitsreichen Tag sagt, den Einkauf habe sie im Eifer des Gefechts vergessen – und im selben Moment betreten schluckt. Der Kollege, der in der Konferenz seufzt, er habe sein Pulver verschossen – und sich erschrocken den Mund zuhält. Der Nachbar, der nicht mehr lächeln kann, wenn die Schwiegermutter sagt, bei euch sieht’s ja aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.

Reden wir wirklich so? Ist unsere Sprache voller Krieg und Gewalt und Blut? Tja: Ja. Aus unseren Worten spricht der Krieg, selbst wenn wir gar nicht daran denken. Der eine hat eine Hustenattacke, die andere steht mit der Gartenarbeit auf Kriegsfuß, der Dritte streckt wegen zu viel Arbeit die Waffen, seine Kollegin hält die Fahne hoch. Wir kämpfen (Pandemie, Inflation, Klima) gleichzeitig an allen Fronten. Und abends übergibt die Nachrichtensprecherin an ihren Kollegen: Na, dann schieß mal los mit dem Wetter.

Bei vielen dieser Ausdrücke konnte man auch früher schon zusammenzucken, aber seit der Krieg direkt vor der Tür steht, seit Menschen auf der Flucht an unseren Bahnhöfen ankommen, seit täglich über Aufrüs­tung und Verteidigungsbereitschaft debattiert wird, ist die Sprache ein noch viel heikleres Gelände geworden. (Gut möglich, dass man vor ein paar Wochen noch gesagt hätte: ein Minenfeld.)

Da will man nur erzählen, wie der Tag so war – und schon ist alles voll von »Kampf«, »Waffen« und »Fronten«

Und wie wir reden, erinnert ja nicht nur an den Krieg, es wirkt sich auch auf unsere Gedanken und Gefühle aus. »Wenn das Denken die Sprache korrumpiert, korrumpiert die Sprache auch das Denken«, hat George Orwell schon 1946 notiert. Mit dieser Prämisse arbeitet auch die Psychotherapie. Der Coach Sebastian Mauritz sagt: »Wenn wir ständig Kriegsmetaphern benutzen, gewöhnen wir uns an die Denkweise. Das Leben wird damit zu einem dauerhaften inneren Kampf. Und ständiges Kämpfen strengt den Geist und den Körper an. Wir reagieren mit Stress, um die Bedrohung zu beseitigen oder ihr zu entgehen. Dabei verstärken wir diese durch unsere Sprachwahl um ein Vielfaches.« Wer im Beruf von Angriff, Verteidigung, Frontlinien und Durchstößen redet, sitzt halt irgendwann auch mit emotionalem Stahlhelm in der Konferenz.

Sprache formt Denken. Zum Beleg (und zur Erholung) kurz ein ganz unkriegerisches Beispiel: An der Hochschule Harz gab es mal eine Testreihe mit Tees. Hieß ein Tee »Tropical Feeling«, wurde er von Probanden als exotisch und erfrischend beschrieben. Stand auf der Verpackung der Name »Vor dem Kamin«, fielen die Bewertungen gegenteilig aus. Die Pointe, man kann es sich schon denken: In den Tassen war jedes Mal der gleiche Tee.

So, wie sich Tee mit entsprechenden Namen gezielter vermarkten lässt, wollen sich auch Menschen durch die Wahl ihrer Worte verkaufen. Stichwort Angriffslust. Wer den »Krieg gegen die Drogen« ausruft (Richard Nixons »War on Drugs« in den frühen Siebzigerjahren), will härter erscheinen als jemand, der bloß von einem »Drogenproblem« redet. Wer einem Virus den Krieg erklärt (Donald Trump), hofft, stärker zu wirken als jemand, der bloß von Heilung spricht. Als Olaf Scholz im März 2020, damals noch Finanzminister unter Angela Merkel, die milliardenschweren Corona-Hilfen der Bundesregierung vorstellte, sagte er: »Das ist die Bazooka, mit der wir das Notwendige jetzt tun.« Bei vielen kam das zwar tatsächlich an wie: Guter Mann, der geht das energisch an. Aber zur Einordnung –eine Bazooka, offizieller Begriff »Antitank Rocket Launcher«, ist eine Panzerabwehrwaffe, die Soldaten auf der Schulter abfeuern. Ein brutal effizientes Tötungsgerät.

Kampfbereitschaft per Kampfmetaphorik, so funktioniert es nun mal. Vor allem im Deutschen. Ein Wortschatz wie ein Waffenschrank. Dominik Hetjens, Linguist an der Technischen Universität Dresden, befasst sich seit Jahren mit dem Thema Sprache und Krieg, er sagt: »Wenn wir betrachten, wie sich der deutsche Wortschatz gewandelt hat, dann finden wir besonders große Veränderungen im Kontext des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Das lässt sich in quantitativen Untersuchungen eindeutig nachvollziehen. Militär spielte außerdem grundsätzlich eine wichtige Rolle in der deutschen Geschichte. Im alten Preußen war es allgegenwärtig, man hat sogar Kinder auf Familienfotos in Uniformen abgelichtet.« Und so war die Soldatensprache nicht nur ein Einfluss unter vielen, sondern tatsächlich das eine prägende Kulturparadigma.

Bis heute reden wir in Formulierungen, bei denen man mitunter kaum noch darauf kommt, dass sie eigentlich vom Krieg erzählen. Reiß dich am Riemen? Bezog sich auf den Uniformgürtel, der exakt zu sitzen hatte, als Zeichen der Einsatzbereitschaft.

Sich verfranzen? Kommt nicht von ausfransen, sondern aus dem Ersten Weltkrieg

Auf der Fahrt haben wir uns total verfranzt? Kommt nicht von »ausfransen« – »Franz« wurden im Ersten Weltkrieg die Co-Piloten genannt, die für die Navigation zuständig waren. Wenn der Franz sich bei der Routenplanung irrte, verfranzte er sich.

Wir müssten den Laden mal auf Vordermann bringen? Rekruten, die sich ordentlich aufstellten, mussten exakt in einer Linie mit den Soldaten vor ihnen stehen – falls nicht, brachte sie der Ausbilder auf Vordermann.

Das hat übrigens nicht nur mit der militärischen Vergangenheit zu tun, sondern auch mit einer Sprachlücke. »Die Grundfrage ist: Wie sprechen wir über abstrakte Dinge?«, sagt der Linguist Dominik Hetjens. Begriff kommt von begreifen, also anfassen. Bei Gefühlen, Stimmungen oder dem Verhältnis zu unserer Umwelt fehlen die greifbaren Worte. »Für unkörperliche Themen bleibt uns oft nur der Umweg über die Metapher«, sagt Hetjens. Und aus welcher konkreten Welt nimmt man diese Metaphern? In Ländern wie Spanien und Italien wählen die Menschen zum Beispiel gern Formulierungen aus dem Kirchenleben. In der Geschichte Deutschlands aber war das stärkste Bezugsfeld eben jahrhunderte­lang der Krieg.

Preußen ist lange her, Ukraine ist jetzt. Sollen wir nun mit unserer Sprache anders umgehen? Man muss ja nicht gleich so weit gehen wie im Golfkrieg oder nach dem 11. September 2001, als US-Radiosender reihenweise bestimmte Lieder aus ihren Programmlisten strichen. Das größte Radionetzwerk der USA untersagte damals etwa das Abspielen von Shot Down In Flames (AC/DC), Crash Into Me (Dave Matthews Band), Burning Down The House (Talking Heads) und sogar Knockin’ On Heaven’s Door (Bob Dylan).

»Man muss keine Liste von Unwörtern machen«, meint der Linguist Hetjens. »Aber wenn Menschen jetzt über ihre Alltagssprache erschrecken, zeigt das ja, dass sich etwas verändert.« Man könnte sich in einem Gespräch oder beim Schreiben einer Mail kurz über­legen: Was für eine Stimmung erzeuge ich, wenn ich von »Waffen« oder »Angriff« rede? Was für ein Weltbild schwingt da mit? Es kann nie schaden, sich Gedanken über auf­geladene Rhetorik zu machen. Siehe auch andere Entwicklungen in den vergangenen Jahren: Menschen stolpern über das generische Maskulinum, lassen »Bürgerinnen« nicht mehr automatisch bei »Bürgern« mitlaufen. Und bei Formulierungen mit Rassismusgefahr wie »schwarzsehen« gilt inzwischen ebenfalls eine verstärkte Behutsamkeit.

Und wenn es nun im Kinderzimmer aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen – dann könnte man auch mal wieder die alt­väterliche Formulierung bemühen: Hier sieht’s ja aus wie bei Hempels unterm Sofa. Wo das herkommt? Die Hempels waren angeblich eine Schaustellerfamilie, die mit dem Circus Hagenbeck reiste und bei jedem Gastspiel ihren Müll einfach unter den Wagen kehrte. Auch diese Redewendung ist 100 Jahre alt. Aber herrlich weit weg vom Krieg.