Marianne Kössler (links) gehörte schon zu den Gründungsmitgliedern 1990, ihre Kollegin Daniela Ptok (rechts) kam im Jahr 2003 dazu.
SZ-Magazin: Die Schlussredaktion ist für uns Redakteure ja so was wie das Netz für Seiltänzer: Wir wiegen uns immer in der schönen Sicherheit, dass da noch eine Instanz kommt, die uns auffängt – und unsere Fehler beseitigt. Wie ist das im Gegenzug für euch, wenn ihr unsere Texte zum ersten Mal seht?
Daniela Ptok: Erst einmal liegt der Text da, wir gehen ganz unbefangen dran, kennen das Thema nicht, oft auch nicht den Autor. Aber nach dem ersten Absatz wissen wir meistens, wer ihn geschrieben hat.
Marianne Kössler: Und dann muss man ihn immer und immer wieder durcharbeiten, es gibt ja mehrere Korrekturphasen. Da ist die Frage, ob man mit dem Text warm wird.
Eine Frage des Gefühls?
Kössler: Ja, wenn ein Text gut ist, ist er rund, abgeschlossen, und dann geht es einem nach dem Lesen auch selbst gut. Als hätte man einen guten Kuchen gegessen und dazu einen schönen Kaffee getrunken.
Ihr seid für korrektes Deutsch in den Texten zuständig, für Rechtschreibung und Grammatik, aber auf Themen und Aussagen habt ihr im Grunde keinen Einfluss. Stört euch das?
Kössler: Das nicht – aber wir sind ja im Prinzip die ersten Leser, und da denke ich schon manchmal: Da hätte ich mehr erwartet! Da wäre ich gern begeistert worden!
Ärgert ihr euch dann?
Ptok: Hin und wieder, ja. Da fragt eine von uns über den Schreibtisch: »Was liest du gerade?« Und dann sagt die andere: »Den Text von dem und dem.« Und dann seufzen wir beide vor uns hin.
Namen, bitte!
Kössler: Niemals. Verschwiegenheit ist die erste Pflicht des Schlussredakteurs.
Kennt ihr auch den Eindruck, dass man vor lauter brillanten Formulierungen gar nicht mehr zum Inhalt eines Textes vordringen kann?
Ptok: Klar, gekonntes Gebrabbel kann den Sinn so vernebeln, dass man nur einzelne Signalworte wahrnimmt. Die Zusammenhänge stellt das Gehirn dann ganz von selbst her. Aber da sollten wir vorher eingreifen.
An welchem Punkt sagt ihr: Jetzt mischen wir uns ein?
Ptok: Sofort, wenn uns auffällt, dass ein Satz zwar schön geschnörkelt dasteht, die inhaltliche Aussage aber relativ flach ist. Je komplizierter die Sätze, desto größer die Gefahr. Wir schätzen einfache, klare Sprache.
Was für ein Verhältnis habt ihr zur Sprache? Kann man von Liebe sprechen?
Ptok: Unbedingt! Und das Größte ist, wenn jemand richtig gut mit Sprache umgehen kann. Das bewundern wir sehr.
Kössler: Oft spiegelt sich die Persönlichkeit eines Autors in einem Text wider. Autoren, die richtig charmant schreiben können, sind oft auch im Umgang freundlich, die nehmen sich selbst nicht so ernst. Ein Text verrät meistens die Seele des Autors.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum "Hingabe" das schönste Wort ist.)
Welches Wort mögt ihr am liebsten?
Ptok: Hingabe. Das ist das schönste Wort, das es gibt! Klang und Aussage passen perfekt zusammen.
Und das ärgerlichste Wort?
Kössler: Ganz ehrlich, was mich total nervt, ist: geil. Ich kann es nicht mehr hören!Verfolgt einen so etwas dann?
Tragt ihr Texte, Sätze, Wörter mit euch herum?
Kössler: Manchmal träume ich von der Arbeit.
Und was genau?
Kössler: Da herrscht immer eine wahnsinnige Aufregung, mindestens fünf Kollegen, die um mich herumstehen, auf mich einreden: Wie konntest du nur diesen oder jenen Fehler übersehen? Und ich versuche dann immer, das zu erklären. Aber es geht nie gut aus.
Träumt ihr manchmal auch von Sprache? Von Buchstaben? Von Wörtern?
Ptok: Nein, nur von konkreten Situationen. Dass wir den Drucktermin nicht schaffen, dass ein Fehler im Heft ist. Was wir nicht sehen,
das wird 600 000-mal falsch veröffentlicht. Da liegst du schon manchmal abends im Bett und denkst: Hast du das noch einmal geprüft?
Was war der größte Fehler, der euch je durchgerutscht ist?
Kössler: Ich habe mal auf der Titelseite etwas übersehen. Ein ganzes Heft über Österreich, auf dem Cover ein Wiener Schnitzel in Form des Landes, dazu die Titelzeile: »Was soll man schon vom einem Land halten, das aussieht wie ein Schnitzel?« »Vom« statt »von«, sehr peinlich. Gerade, wenn man ein bisschen provokant sein will, muss man doch super-exakt sein. Ich habe damals sogar noch in der Druckerei angerufen. Der Techniker hat nur gelacht und gesagt: »Das Heft ist längst gedruckt. Wollen Sie jetzt die Heftklammern einzeln aufmachen?«
Läuft die Fehlersuche immer mit? Könnt ihr an Plakaten oder Schaufenstern vorbeigehen, ohne in Gedanken zu korrigieren?
Kössler: Nicht manisch, aber ich schau schon immer. Vor Kurzem bin ich an einem Museum hier in München vorbeigekommen, da stand an der Tür »Grüß’ Gott«, mit einem Apostroph. Das hat mich so gestört, dass ich reingehen musste, um es denen zu sagen. Die Dame am Empfang hat geantwortet: »Dieser Schriftzug ist ein Kunstwerk, da wird nichts geändert.«
Ptok: In der U-Bahn hing mal ein Werbeplakat von einer Rechtsanwaltskanzlei, da waren zwei dicke Tippfehler drin. Ich habe der Firma eine E-Mail geschrieben. Wenn jemand Kunden gewinnen will, muss er ja nicht so anfangen.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum die Rechtschreibreform ein Fehler war.)
Gibt es notorische Fehler von Kollegen in der Redaktion?
Ptok: Seit der Rechtschreibreform kommt offenbar keiner mehr mit dem »ß« zurecht. Manche denken, das »ß« gäbe es gar nicht mehr – was ja nun nicht stimmt.
Hatte die Rechtschreibreform auch ihre guten Seiten?
Kössler: Kaum. Das Ganze war völlig unnötig für die Sprache und für den Umgang mit ihr. Es wurden ja so viele Neuerungen wieder zurückgenommen, die wirklich unsinnig waren: Erst hieß es »aufwendig«, dann »aufwändig«, jetzt geht beides. Der Duden bietet in vielen Fällen zwei oder drei Möglichkeiten an. Es gibt keine Verbindlichkeit mehr.
Manche Leute sagen: Weg von den Regeln, mehr Freiheit, die Leute schreiben eben so, wie es ihnen liegt.
Kössler: Ich finde, dass gewisse Standards sein müssen. Eine Sprache braucht Regeln.
Ptok: … schon damit man hin und wieder dagegen verstoßen kann.
Aber Sprache ist ständig in Bewegung. Müsste sich also nicht auch die Orthografie immer anpassen?
Ptok: Das wurde ja mit der Reform versucht. Aber eben ganz theoretisch, verkopft – und nicht am tatsächlichen Sprachgebrauch orientiert.
Der Chef des Springer-Verlags, Mathias Döpfner, meint, im Zeitalter von SMS und E-Mails sei Rechtschreibung eigentlich altmodisch.
Ptok: Finde ich überhaupt nicht. Wer Rechtschreibung beherrscht, wendet sie auch in der SMS richtig an.
Aber es ist ja damit zu rechnen, dass wir die Abkürzungen, die aus der Mail- und SMS-Welt kommen, in den nächsten Jahren auch im Schriftdeutschen finden.
Ptok: Weiß ich nicht. Stand schon mal »lol« für »laughing out loud« bei uns im Heft?
Kössler: Diese SMS-Sprache ist eine Modeerscheinung, die wird zwei, drei Jahre benutzt, und dann kommt wieder was anderes.
Ptok: Im Grunde ist die wichtigste Regel: Wenn man etwas druckt, dann muss der Leser es verstehen können.
Kössler: Es muss allgemeingültig sein, sodass die große Mehrheit weiß, was gemeint ist.
Dann wäre »geil« also doch zulässig?
Kössler: Kommt auf den Kontext an. Wenn es in einem Text an der Stelle logisch erscheint, dann sage ich: Okay, das passt hier.
Ptok: Wenn Kurt Kister schreiben würde: »Irgendwie ist Guido Westerwelle doch ein geiler Typ«, dann dürfte das stehen bleiben, weil die Ironie erkennbar wäre.
Wie viele Regeln wisst ihr eigentlich auswendig? Und wie viel müsst ihr nachschlagen?
Ptok: Beim Konjunktiv werden so viele Fehler gemacht, da schauen wir zur Sicherheit manchmal noch nach: »Er sagt, er habe keine Zeit« – da verwenden viele Redakteure den Konjunktiv II: »Er sagt, er hätte keine Zeit.« Aber in anderen Fällen darf dann wieder Konjunktiv II statt Konjunktiv I stehen … da tut ihr euch manchmal etwas schwer.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die heftigesten Beschwerden der Leser.)
Ein Thema, bei dem es ständig Streitereien unter den Sprachwächtern gibt, sind Anglizismen. Zum Beispiel »Sinn machen«. Eure Meinung?
Ptok: »Sinn haben« ist doch viel einfacher! Etwas hat Sinn. Oder etwas ist sinnvoll. Andererseits, wenn sich Wendungen so eingeschliffen haben, dann ja auch, weil sie offenbar schnell von der Hand oder von den Lippen gehen und sich gut in den Satzrhythmus einfügen.
Und »Das macht keinen Unterschied«?
Ptok: »It makes no difference«, natürlich ein Anglizismus. Aber »macht« klingt nun mal aktiver, das mögen viele.
Was ist mit »Ich erinnere das nicht«?
Kössler: Das geht gar nicht!
Ein Hamburger würde sagen: Natürlich geht das!
Kössler: Klar, der Duden führt das auch auf, als »landschaftlichen« Ausdruck. Aber für mich hört es sich falsch an.
Helmut Schmidt würde sein ganzes Leben so erzählen: »Ich erinnere sie gut, die Sturmflut.«
Ptok: Wir lassen ja durchaus landschaftliche Sprache zu, soweit es innerhalb des Kontexts sinnvoll ist.
Kössler: Gerhard Polt hat mal in einem Interview gesagt, dass der Dialekt oft stärker sein kann als das Hochdeutsche. Er hat das Beispiel »träumen« gebracht: »Ich habe geträumt« im Hochdeutschen, eher aktiv. Im Bairischen »Mia hod dramd« – da wird in der Formulierung schon deutlich, dass einem etwas widerfährt. Man ist dem Traum ausgeliefert.
Also: Inhalt schlägt Vorschrift.
Ptok: Klar, Sprache muss lebendig sein.
Ihr kriegt auch Leserpost. Was schreiben euch denn die Leser so?
Ptok: Die Leser beleidigen uns und sind gemein.
Kössler: »Besuchen Sie die Hilfsschule!«
Ptok: »Kaufen Sie sich einen Duden!«, »Lernen Sie mal was Richtiges!«
Worüber beschweren die sich?
Kössler: Ich weiß noch, das liegt schon sehr lang zurück, da ging es um das Wort »Glasvitrine«. Eine Vitrine sei doch immer aus Glas, hat ein Leser geschrieben. Gut, da hat er schon recht – aber der hatte derart Schaum vorm Mund, das war unglaublich!
Warum entwickeln die Leute beim Thema Sprache solche Leidenschaft?
Ptok: Vielleicht ist auch Freude am Zurechtweisen dabei. Wir bekommen natürlich nie Leserbriefe, in denen steht: »Hey, keinen Fehler entdeckt – herzlichen Glückwunsch!« Erwarten wir ja auch nicht. Aber die Lust, mit der sich manche Leser beschweren, ist schon erstaunlich. Das Kreuzworträtsel hier im Heft zum Beispiel: »Das Kreuz mit den Worten« müsste »Das Kreuz mit den Wörtern« heißen – einer unserer Dauerbrenner.
Kössler: Weil »Worte« bedeutet: mehr als ein Wort. Sätze. Aber unser Rätselautor CUS findet ja tolle Formulierungen. Das sind nicht nur so ein paar Wörter.
Macht die Haltung dieser Leserbriefe, diese Wut, nicht im Nachhinein auch klar, warum die Rechtschreibreform so umstritten war?
Kössler: Ja, die Leute wollen ein festes Regelwerk haben, etwas, was sich nicht verändert. Da geht’s auch um eine Art Halt im Leben.
Lest ihr eigentlich die Texte noch einmal, wenn sie dann gedruckt sind?
Kössler: Das fertige Heft schaue ich nicht mehr an. Weil ich, ganz ehrlich, Angst habe, da könnte doch noch ein Fehler drin sein.
Ptok: Es wäre ja auch Zeitverschwendung. Wir haben das Ding ja schon achtmal gelesen.
Foto: Frank Bauer