Zurzeit rockt alles und jeder. Allein in diesem Jahr waren es: CDU, SPD, Grüne, ein Girokonto, ein Zeitschriftenverlag, die Volleyball-Nationalmannschaft der Damen sowie eine Traktorenausstellung in Hessen. Sie alle haben behauptet: »Wir rocken.« Dabei ist es nicht lange her, dass Rock bürgerliche Ängste geschürt hat: Noch vor 26 Jahren warnte die Broschüre Rockmusik! – Ausdruck einer Jugend in einem sterbenden Zeitalter, dass Rock die Menschen in »Wut, Zorn, Sucht und Depression« führt.
Es lässt sich nicht genau sagen, wann »rocken« zu einem Allerweltsbegriff wurde. Im Zeitungsarchiv taucht die Formulierung zum ersten Mal 1987 in der Taz auf: »Musiker rocken gegen Raketen.« Ein paar Jahre später präsentierte VW den Golf im Sondermodell »Rolling Stones« als erstes Auto, das offiziell rocken sollte. Heute ist die Bedeutung zerfasert und meint:
1) Konzert (»Die Strokes haben gerockt«)
2) Exzess (»Jans Junggesellenabschied hat gerockt«)
3) Überlegenheit (»Die Konferenz hat Ute echt gerockt«)
4) Optimismus (»Wir rocken das!«)
Vor allem der letzte Satz wird am liebsten von Leuten verwendet, die man nie ohne Krawatte sieht. Die aber sagen wollen: Ich trage teure Anzüge – doch ich bin einer von euch. Die Lederjacke müsst ihr euch einfach dazudenken. So wie Karl-Theodor zu Guttenberg, der mit dem Besuch von AC/DC-Konzerten von seinem glatten Wesen ablenken wollte.
Der Pophistoriker Marcus Kleiner nennt diese Taktik »massentaugliche Unangepasstheit«. Es ist ein großer Widerspruch: Rock als Zeichen einer Rebellion gegen »die da oben«, geführt von Menschen, die längst selbst oben angekommen sind. Also genau der richtige Satz in einer Zeit, in der Milliardäre mit Zauselbart und Kapuzenpullover herumlaufen. Und die Kanzlerin ihren Wahlsieg mit einem Song der Toten Hosen feiert.