SZ-Magazin: Sir Michael, in Ihrem neuen Film Sleuth – 1 Mord für 2 spielen Sie einen älteren, erfolgreichen Schriftsteller, dessen Frau mit einem jüngeren Liebhaber fremdgegangen ist. Waren Sie jemals in so einer Situation, dass ein Jüngerer versucht hat, Ihnen die Frau auszuspannen?
Sir Michael Caine: Nein. Ich bin zwar schon seit 34 Jahren mit meiner Frau Shakira verheiratet, aber das ist mir noch nie passiert. Trotzdem kann ich mir vorstellen, wie es sich anfühlen würde, und ich reagiere im Film auch so, wie ich in Wirklichkeit reagieren würde.
Sie würden versuchen, Ihren Kontrahenten umzubringen?
Na ja, die beiden reden im Film erst mal 80 Minuten miteinander. In der Realität, glaube ich, würde ich einen Nebenbuhler nicht so lange am Leben lassen. Vor 35 Jahren spielten Sie im gleichnamigen Film den jungen Liebhaber, Sir Laurence Olivier spielte den betrogenen Schriftsteller. Mit welcher Rolle konnten Sie sich besser identifizieren, mit dem Jüngeren oder dem Älteren?
Früher mit dem Jüngeren, diesmal naturgemäß mit dem Älteren. Klingt fast so, als wären Sie auch etwas eifersüchtig auf Jude Law, der diesmal den jungen Liebhaber mimt. Aber nein, ich bin sehr glücklich, dass ich der alte Michael Caine bin.
Wo sehen Sie denn die Unterschiede zwischen der älteren und der jüngeren britischen Schauspielergeneration, also zwischen Ihnen und Jude Law oder Hugh Grant?
Die Jungen sind tougher als wir damals. Schauen Sie sich nur mal Judes Alltag an. Die Paparazzi stehen immer vor seiner Haustür und knipsen ihn, wenn er die Zeitung holt oder seine Kinder zur Schule bringt. Das ist grausam.
Haben Sie ihm das schon mal gesagt?
Ja. Er hat geantwortet: »Keine Sorge, Michael, ich hab mich dran gewöhnt.«
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Leute wie ich, die aus der Unterschicht kamen, also Cockneys, spielten in den Fünfzigerjahren immer nur dumme oder brutale Charaktere")
Jude Law nennt Sie »Michael«, nicht »Sir Michael«?
Um Himmels willen, nein, wir sind seit Jahren befreundet. Aber das Lustige beim ersten Sleuth-Film 1972 war, dass mir Laurence Olivier vor Beginn der Dreharbeiten einen Brief geschrieben hatte. Sie müssen wissen: Ich hatte Olivier bis zu diesem Zeitpunkt nie getroffen und er war damals schon ein Lord. In dem Brief stand: »Bald drehen wir unseren ersten gemeinsamen Film und Sie werden sich sicher fragen, wie Sie mich anreden sollen. Bitte sagen Sie Larry zu mir, wenn wir uns zum ersten Mal die Hand geben.« Ich war sehr erleichtert, denn tatsächlich hatte ich mir vorher Gedanken darüber gemacht, wie ich Larry anreden sollte. Ich konnte ihn doch nicht die ganze Zeit »My Lord« nennen!
Ironie der Geschichte. 35 Jahre später sind Sie »Sir Michael Caine«.
Ja, aber wie absurd wäre es heute, wenn ich einen Brief schreiben würde, in dem steht: »Lieber Jude, Sie werden sich sicher fragen, wie Sie mich ansprechen sollen. Nennen Sie mich einfach Michael.« Nein, dieses Klassenbewusstsein, das es in meiner Generation noch gab, ist endgültig vorbei.
Sie stammen aus einer sehr armen Familie, Ihr Vater arbeitete als Packer am Londoner Hafen, Ihre Mutter war Putzfrau. Wie wichtig war es für Sie, reich und berühmt zu werden?
Ich wollte nicht reich und berühmt werden, sondern meinen Lebensunterhalt verdienen. Und ich wurde Schauspieler, um meine Herkunft zu reflektieren. Leute wie ich, die aus der Unterschicht kamen, also Cockneys, spielten in den Fünfzigerjahren immer nur dumme oder brutale Charaktere. Denn fast alle angesehenen Schauspieler kamen damals aus der Mittelschicht, spielten Tennis, tranken Cocktails und fuhren auf Bälle nach London. Die machten sich über Leute wie mich überhaupt keine Gedanken.
Wer waren Ihre Vorbilder, wenn nicht die Schauspielerkollegen? Schon Schauspieler, aber amerikanische: Humphrey Bogart war mein absoluter Held, aber auch Marlon Brando. Die haben oft Charaktere aus der Unterschicht gespielt. Am Beispiel von Kriegsfilmen kann man gut aufzeigen, wie unterschiedlich die Briten und die Amerikaner mit dem Klassenunterschied im Kino umgegangen sind. In England behandelten Kriegsfilme immer das Schicksal von Offizieren, in Amerika immer das von einfachen Soldaten. In britischen Filmen gab es natürlich auch Cockneys, aber die spielten immer nur Feiglinge oder Arschlöcher.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "90 Prozent der Ratschläge, die ich als junger Schauspieler von älteren Schauspielern bekommen habe, lauteten: »Caine, geben Sie es auf!« Die dachten, ich sei verrückt")
Und dann kamen Sie und spielten 1964 Harry Palmer in Ipcress – Streng geheim, einen smarten Agenten, der Cockney spricht. Damals eine Revolution.
Mich hat mal jemand gefragt, ob ich jungen Schauspielern einen Rat geben kann. Und ich sagte: »Nein, niemals.« Wissen Sie, warum? Weil 90 Prozent der Ratschläge, die ich als junger Schauspieler von älteren Schauspielern bekommen habe, lauteten: »Caine, geben Sie es auf!« Die dachten, ich sei verrückt, weil ich unbedingt Schauspieler werden wollte mit meinem Proleten-Slang.
Dabei hat Ihnen später Ihre Aussprache und die Rolle als Killer in Die Wahrheit tut weh 1971 sogar den Beinamen »King of Cool« eingebracht.
Ja, das stimmt. Ich glaube, die Leute fanden mich cool, weil ich ein Typ bin, der sich ungern zur Schau stellt.
Ist das Ihre Definition von Coolness?
Ja, cool heißt für mich, sich nicht zu verstellen. Zu diesem Interview hätte ich auch mit einem weißen Hut kommen können, aber das wäre nicht besonders cool gewesen, oder? Cool sein heißt, auch mal still sein, andere Menschen wahrnehmen, anderen zuhören können.
Welche Schauspieler – außer sich selbst – finden Sie denn cool?
Da gibt es viele. Jude ist sehr cool, Hugh Grant, Brad Pitt von den Jüngeren. Und aus Ihrer Generation? Roger Moore, Sean Connery, wir waren alle coole Jungs. Aber bitte vergessen Sie nicht: Es gab eine Zeit, in der Sean und ich uns gemeinsam Sozialhilfe abgeholt haben. Auch später haben wir nie besonders exotische Dinge gemacht, um die Aufmerksamkeit auf uns zu lenken.
Aber nach Ihren ersten Erfolgen haben Sie sich ziemlich viele teure Dinge gekauft, einen Rolls-Royce zum Beispiel.
Ja, stimmt schon, ich habe mir auch einen Rolls-Royce gekauft, aber ab dem Zeitpunkt, wo ich erfolgreich war, leistete ich mir vor allem Dinge, die mit Hygiene zu tun hatten. Ob mir eine Wohnung zum Beispiel gefiel oder nicht, hing immer vom Badezimmer ab. Das hängt damit zusammen, dass ich in einer kleinen Wohnung mit einem winzigen Badezimmer groß geworden bin. Unsere Toilette befand sich sogar außerhalb des Hauses. Und zum Rolls-Royce: Damals hatte jeder einen, auch Roger und Sean. Das war nicht extravagant, eher normal. Aber wissen Sie, was das Beste daran war: Ich hatte damals nicht mal einen Führerschein, den habe ich erst mit 50 gemacht. So war das erste Auto, das ich mir in meinem Leben gekauft habe, ein Rolls-Royce, den ich nicht fahren konnte. Ich musste mir einen Chauffeur zulegen.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Ich sah eines Abends dieses dunkelhäutige Mädchen in einem Kaffee-Werbespot im Fernsehen. Gleich am nächsten Morgen fand ich die Werbeagentur heraus, rief an und fragte mich durch, bis ich sie gefunden hatte")
Sie haben vorhin erzählt, dass Sie seit 34 Jahren verheiratet sind. War es eigentlich immer Ihr Plan, Ihr Leben mit nur einer Frau zu verbringen?
Nein, ich war ja auch schon vorher einmal verheiratet. Aber diese Ehe endete nicht schön, mit einer Scheidung und allem, was dazugehört. Damals hatte ich mir sogar geschworen, nie wieder zu heiraten. Aber dann sah ich eines Abends dieses dunkelhäutige Mädchen in einem Kaffee-Werbespot im Fernsehen. Gleich am nächsten Morgen fand ich die Werbeagentur heraus, rief an und fragte mich durch, bis ich sie gefunden hatte. Sie hieß Shakira, kam aus Kaschmir und war die hübscheste Frau, die ich jemals getroffen hatte. Ich verliebte mich auf Anhieb. Die Vorstellung, noch einmal zu heiraten, empfand ich auf einmal nicht mehr als Albtraum, sondern als grandios.
Hat diese zweite Liebe Ihr Leben verändert?
Verändert? Sie hat es vollkommen umgekrempelt. Ich trank damals zwei Flaschen Wodka am Tag, trieb mich bis vier Uhr morgens in der Disco herum, rauchte und was weiß ich alles. Mit Shakira wurde ich von einem Tag auf den anderen ruhiger. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich schon tot. Oder hätte Lungenkrebs oder wäre Alkoholiker. Die Liebe zu dieser Frau war besser als mein Lotterleben vorher.
Sie sollen mal gesagt haben, ein Mann dürfe nie vor einer Frau auf die Knie gehen, außer wenn er von der Queen zum Ritter geschlagen wird. Stimmt das?
Nein, das war ein bisschen anders. Ein Journalist fragte mich damals: »Michael Caine, Sie sind doch ein stolzer Mann. Wie fühlt es sich an, vor der Queen auf die Knie zu gehen?« Und ich antwortete: »Ich ging runter auf ein Knie vor der Queen, um einen Status zu erreichen, mit dem ich nie mehr in die Lage käme, vor irgendjemand anderem auf beide Knie runtergehen zu müssen.«
Nicht einmal, als Sie Ihrer Frau Shakira den Heiratsantrag machten?
Nein. Auch da nicht. Ich habe sie einfach gefragt: »Wie fändest du es, wenn wir heiraten würden?« Und sie sagte: »Ich würde dich gern heiraten.« Haben wir dann auch gemacht, in Las Vegas, für 250 Dollar.
Sir Michael, am 14. März werden Sie 75 Jahre alt. Haben Sie Angst vor dem Älterwerden?
Nein, überhaupt nicht. Stellt man sich die Alternative vor, ist es geradezu fantastisch! Ich bin der Meinung, man muss versuchen, so alt wie möglich zu werden. Und ich glaube, das Beste daran ist, dass sich die Leute nicht mehr so um dich reißen, dass sie dich in Ruhe lassen. Wenn es darum geht, für einen Film von der Tower Bridge zu springen, sagen sie: Ach, den Caine brauchst du gar nicht fragen, der macht das eh nicht, der ist zu alt. Toll, oder?