Wer am Vorabend einer Wetten, dass…?-Sendung mit Michelle Hunziker verabredet ist, in der typischen Messehalle einer typischen mittelgroßen Wetten, dass…?-Stadt, hat den Eindruck, sich in einem Hochsicherheitstrakt zu bewegen. Am Hintereingang der Halle regelt ein stiernackiger Sicherheitschef mit großer Selbstgefälligkeit den Verkehr. Erst nach Abgabe des Personalausweises und vielen Telefonaten wird eine Sonderakkreditierung für den Garderobenbereich ausgestellt, und auf dem Weg dorthin sind noch einmal mehrere Wachposten zu passieren. Dann aber öffnet sich plötzlich der Vorhang zu einer Art Wellness-Landschaft; Pflanzen, helle Tücher, es duftet nach aromatischen Ölen. Die Managerin winkt einen herein, und auf einmal steht sie da: Michelle Hunziker, noch hübscher als auf dem Bildschirm, nicht so groß wie gedacht (der übliche Fernseheffekt), beinahe zierlich.
Sie hat die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, ist barfuß und trägt einen weißen Bademantel. Freundlich bietet sie etwas zu trinken an und nimmt dann für die nächste gute Stunde im Schneidersitz auf einem der Sofas Platz, mit der Leichtigkeit jahrelangen Yoga-Trainings.
Um 20.15 Uhr beginnt die minutiös durchgeplante Wetten, dass…?-Generalprobe; es ist Hunzikers fünfte Sendung, nachdem Thomas Gottschalk sie im September des vergangenen Jahres engagiert hat. Trotz einiger Moderationsversuche im Fernsehen beschränkte sich Hunzikers Prominenz in der deutschen Öffentlichkeit zuletzt auf die Klatschnachrichten, auf den Sorgerechtsstreit um die heute 13 Jahre alte Tochter Aurora und ihre Nähe zu einer obskuren Mailänder Wunderheilerin, die unter dem Paulo-Coelho-Motto Krieger des Lichts eine sektenartige Gemeinschaft führte.
Jetzt ist Michelle Hunziker wieder da, gleich auf dem altehrwürdigen Gipfel der deutschen TV-Unterhaltung, und zum ersten Mal in Deutschland bekommt sie gute Kritiken. Sie verleiht den fahrigen Wetten, dass…?-Sendungen tatsächlich eine neue Frische, hat sich auch das gackernde Lachen weitgehend abtrainiert, und vor allem behandelt sie die Wettkandidaten mit einer Würde und Aufmerksamkeit, die Thomas Gottschalk seit Langem verlorengegangen ist.
Michelle Hunziker ist am Morgen aus Mailand gekommen und fühlt sich jetzt, ein paar Stunden nach der Ankunft, noch nicht ganz heimisch in der deutschen Sprache. In jedem zweiten oder dritten Satz sucht sie ein Wort, das sie nur auf Italienisch oder Englisch parat hat. »Die ganze Woche hab ich auf Italienisch moderiert. Und jetzt muss ich Deutsch denken, die Wörter kommen am Freitag noch nicht. Ich weiß selber nicht, wie ich das dann immer schaffe: Samstagabend geht’s plötzlich, es ist wie Magie.«
Die Generalprobe mit den Wettkandidaten aber, bei der sich Gottschalk und die Studiogäste von Doubles vertreten lassen, verläuft tatsächlich unbefriedigend. Die Ansagen der Moderatorin wirken hölzern, und die Proben werden immer wieder unterbrochen.
Einmal, als die Aufnahmeleiterin Sophia Loren als Stargast ankündigt und sich das Double der Schauspielerin auf die Couch setzt, spricht Hunziker ihren Namen bei der Begrüßung korrekt italienisch aus, »Lóren«, auf der ersten Silbe betont. Vom Regisseur wird sie per Durchsage darauf hingewiesen, dass man in Deutschland »Lorén« sage, mit Betonung auf dem e, was sie mit einem Nicken zur Kenntnis nimmt.
Vielleicht ist es dieses ständige Changieren zwischen den Sprachen und Orten, von dem aus die Person Michelle Hunziker am ehesten fassbar wird. Geboren im Tessin, in der italienischen Schweiz, zog sie im Alter von drei Jahren mit ihrem Vater, ihrer holländischen Mutter und dem älteren Bruder nach Bern um. »Ich habe dort in der Schule Schweizerdeutsch gesprochen, mit meiner Mama und der Oma Holländisch und mit dem Papa Italienisch.« Mit 16, nach der Trennung der Eltern, ging sie zusammen mit ihrer Mutter nach Italien.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Heimatlosigkeit für Michelle Hunziker ein Privileg ist und wie sie in ihrer Heimat Italien wahrgenommen wird)
In jeder Sprache und in jedem Land nur zu Besuch zu sein, in Deutschland als Italienerin, in Italien als Schweizerin zu gelten, ist Ausdruck einer grundsätzlichen Wurzellosigkeit, von der Michelle Hunziker freimütig und im Sinne eines Privilegs redet. »Ich muss mich eigentlich bedanken«, sagt sie, »dass ich keine Wurzeln habe, dass ich, sagen wir mal so, heimatlos bin, denn das gibt mir auch die Möglichkeit, mich in meiner Arbeit gut anzupassen, mich in eine andere Kultur reinzuschmiegen, das ist der richtige Begriff.«
Es läuft also alles großartig. Und das ist auch die Rolle, die Michelle Hunziker am überzeugendsten beherrscht – als Repräsentantin ihrer selbst die verschlungenen Fäden der eigenen Biografie zu einem harmonischen Ganzen zu fügen. Sie ist mit einem makellosen Körper, einem makellosen Gesicht beschenkt worden, und sie verwaltet diese Gaben mit aller Professionalität. »Ich darf doch ›Du‹ sagen, oder?«, schlägt sie nach ein paar Minuten des Interviews vor. Ja, Michelle, du darfst! Und mehr und mehr beginnt man, sich alles von ihr erzählen zu lassen.
Zum Beispiel, wenn sie von ihrer italienischen Karriere redet, von jener anderen, alteingesessenen Seite, die mangels Sprachkenntnis und TV-Empfang kaum jemand in Deutschland kennt. Sie ist ein paar Monate im Jahr Co-Moderation der populären Sendung Striscia la Notizia, die in Italien jeden Abend vor Millionenpublikum läuft. Dort könne sie ihre Talente als politische Komödiantin zeigen und müsse nicht mit dem schlüpfrigen Bild kämpfen, das ihr in Deutschland immer noch anhaftet: »In Italien hatte ich dieses sexy Image nie«, sagt sie.
Ein Blick auf YouTube, auf ein paar Ausschnitte der jüngsten Striscia-Folgen, macht später allerdings deutlich, welches schiefe oder bewusst verschleierte Selbstbild solchen Aussagen zugrunde liegen muss. Michelle Hunziker betritt dort in Hotpants die Bühne, läuft in einer Mischung aus Go-Go- und Veitstanz an den kreischenden Zuschauern entlang, immer schön von unten zwischen die Beine gefilmt.
Die Dinge im rechten Licht zu betrachten, ist also eine Fähigkeit, die Michelle Hunziker mustergültig beherrscht. Das gilt auch für die von ihr so emphatisch vorgetragene Wurzellosigkeit. Hat nicht gerade sie jene Krisen hervorgebracht, die in den letzten Jahren so viele People-Zeitschriften und Prominenten-Magazine im Fernsehen auf Trab hielten? Der Bruch mit ihrem Vater, nachdem er die Familie verlassen hatte, später auch mit der Mutter, als sie sich in der Zeit der Scheidung offenbar auf die Seite von Eros Ramazotti stellte. Ihre Annäherung an die Krieger des Lichts, ihre Liebesbeziehung sowohl mit dem Sohn als auch dem Lebensgefährten der Sektengründerin. Wenn man Michelle Hunziker mit diesen Ereignissen in ihrem Leben konfrontiert, endet der vertrauliche Plauderton abrupt; sie spult dann nur noch Floskeln ab: »Es gab da eine schlimme Phase, über die will ich nicht mehr sprechen«, sagt sie, oder: »Man muss immer nach vorne schauen.«
Am Samstagabend dann ist Michelle Hunziker in Bestform, steht ihren Kandidaten bei, die auch tatsächlich alle wie in der Generalprobe ihre Wetten gewinnen. Als schließlich die große italienische Schauspielerin die Bühne betritt, kommt Hunziker auf sie zu und gesteht ihr, dass sie schon als Kind ein Riesen-Fan gewesen sei. Sie sagt »Sophia Lorén«, selbstverständlich mit Betonung auf der zweiten Silbe; es geht ihr von den Lippen, als hätte sie es nie anders getan.
Foto: Gianmacro Chieregato Photomovie/interTOPICS