»Wir haben voll für diese Musik und diesen Sound gebrannt«

Jan Weissenfeldt von den Poets Of Rhythm erklärt, wie es einigen Münchner Jungs in den Neunzigern gelang, zu einer legendären Funkband zu werden – und warum es nach einigen intensiven Jahren schon wieder vorbei war.

Mit Pelzjäckchen und Zuhälter-Brille: Die Poets Of Rhythm zur Zeit ihrer größten Erfolge.

Foto: Soulciety Records

Legendäre Funkbands sucht man normalerweise in den US-Südstaaten, in Harlem und in der South Side von Chicago. Dass ein hoch angesehenes Funk-Ensemble ausgerechnet aus München kommt, ist daher eine ziemlich außergewöhnliche Geschichte. Die Poets Of Rhythm waren eine Münchner Band, die sich Anfang der Neunziger dem Funk verschrieb und diese Musik auf spektakuläre Weise zum Leben erweckte. Dabei gelang ihnen das Kunststück, den Sound der alten Singles kongenial nachzuempfinden, aber dennoch nicht in der Retro-Kiste stecken zu bleiben – damals machten sie absolut zeitgemäße Underground-Musik, so wie der Mojo Club und die Rare-Groove-Bootlegs stehen sie für das Funk-Revival dieser Jahre.

Obwohl nie megapopulär, waren sie doch sehr einflussreich, und ihre Platten inspirierten einige New Yorker Funkfans, es selbst einmal zu versuchen und die Labels Desco und Daptone zu gründen: Ob es ohne die Poets Of Rhythm zum Erfolg von Sharon Jones und Lee Fields gekommen wäre? Ob es die Dap-Kings gegeben hätte, deren Klasse viel zu Amy Winehouses Erfolgsalbum Back To Black beigetragen hat? Man weiß es nicht. Aber immer wieder haben sich die Daptone-Leute zu den Poets Of Rhythm bekannt und auf dem New Yorker Label erscheint nun auch die Anthology 1992-2003. Die ehemaligen Mitglieder der Poets Of Rhythm sind längst schon einige Schritte weiter. Drummer Max Weissenfeldt hat letztes Jahr mit Dr. John gespielt, Saxofonist Wolfi Schlick gründete die Express Brass Band, Gitarrist Jan Weissenfeldt spielte lange mit Ebo Taylor und hat mit Sänger Boris Geiger die Band Karl Hector & The Malcouns. Vor ein paar Wochen traf ich Jan Weissenfeldt und habe mir erklären lassen, warum es damals mit den Poets Of Rhythm so kam, wie es kam.

Jan Weissenfeldt, im Booklet der neuen Poets-Of-Rhythm-CD schreibt Gabriel Roth, Chef von Daptone Records, als er zum ersten Mal die Poets Of Rhythm gehört hat, sei das »eine Offenbarung« gewesen. Starke Worte!
Mir war gar nicht wirklich bewusst, wie wichtig unsere Musik für ihn gewesen ist. Anscheinend haben ihm unsere Platten gezeigt, dass Funk nicht unbedingt aus der ferneren Vergangenheit kommen muss. Unser erstes Album erschien 1993 und hat die Daptone-Jungs dazu angeregt, nicht nur weiter alte Platten zu sammeln, sondern selbst Funk und Soul zu spielen. Und nicht nur sie: Ich treffe immer wieder junge Funk-Bands, die alte Songs von uns covern und erzählen, wie wichtig wir für sie waren.

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Deshalb jetzt die die neue Compilation Anthology 1992-2003?
Genau. Das Interesse an den Poets Of Rhythm ist in den letzten Jahren stetig gestiegen, da wollten wir einfach mal die Sachen zusammenpacken, die sich über die Jahre am besten gehalten haben. Mit Ausnahme unseres ersten Albums Practice What You Preach, das sie bei Daptone vor ein paar Jahren wiederveröffentlicht haben, ist unser gesamtes Werk lange vergriffen; die vielen Singles sind kaum zu finden.

Die Wurzeln der Poets Of Rhythm liegen in den Achtzigern: Du und und Dein Schulfreund Boris Geiger, später Sänger der Band, habt euch entgegen dem damaligen Musiktrend für Funk begeistert.
Bootsy Collins war ein großes Vorbild, von ihm sind wir zu James Brown gekommen und haben uns immer weiter nach hinten gearbeitet. Ich weiß noch, wie ich mal ein Interview mit George Clinton gelesen habe, in dem er gesagt hat, die Meters seien eigentlich die einzige Band gewesen, die funkiger als Funkadelic gewesen seien. Die Meters zu entdecken, war sehr motivierend für uns.

Warum?
George Clinton und James Brown hatte große Bands, deren Sound für uns völlig unerreichbar war. Aber die Meters waren ein Quartett und haben viel instrumental gespielt – das erschien uns machbar und hat uns darin bestärkt, es selbst zu versuchen. Wir haben dann relativ schnell mit zwei Jungs aus der Schule eine Band gegründet und bei Auftritten auch schon Meters-Cover gespielt. Parallel dazu habe ich angefangen, alte Funk-Singles zu sammeln. Das war die wichtigste Inspirationsquelle.

»Viele unserer besten Songs sind bei meiner Mutter im Keller mit einem Vierspur-Kassettenrekorder aufgenommen worden«

1992 kam die erste Single der Poets Of Rhythm heraus.
Danach ging alles ziemlich schnell. Ein Freund hat die den Jungs vom Soulciety-Label in Hamburg gegeben, zwei Wochen später kam der Anruf, ob wir ein Album für die machen wollen. Im Frühjahr 1993 ist dann unser Album Practice What You Preach erschienen. Ab da haben wir ziemlich viel live gespielt und die Zeit bis Mitte der Neunziger mit Plattenaufnahmen und Konzerten verbracht.

Ich finde es immer noch unglaublich, wie gut es euch gelungen ist, euch diese Musik zu eigen zu machen – die ja aus einer anderen Zeit und ganz anderen sozialen Umständen stammt. Wie habt ihr das geschafft?
Ich kann es mir selbst nicht so genau erklären. Entscheidend war sicher der totale Fokus auf das Thema: Wir haben voll für diese Musik und diesen Sound gebrannt. Wir waren sehr jung und sind mit einer unbedarften Leidenschaft an die Sache rangegangen. Ob das überhaupt funktionieren kann oder vielleicht peinlich wird – darüber haben wir uns gar keine Gedanken gemacht. Wir haben auch nicht eine einzelne Band als Vorbild genommen, sondern uns vom gesamten Vibe der alten Funk-Singles inspirieren lassen. Hinzu kam, dass wir ähnliche Voraussetzungen hatten: Genau wie bei vielen der Original-Singles hatten wir nur minimales Equipment und haben die Sachen schnell und billig produziert. Viele unserer besten Songs sind bei meiner Mutter im Keller mit einem Vierspur-Kassettenrekorder aufgenommen worden. Und dadurch hat es wieder eine eigene Authentizität bekommen.

Eure alten Singles werden inzwischen für ähnliche Preise gehandelt wie die amerikanischen Funk-Originale, die euch damals inspiriert haben.
Wir haben von unseren Singles damals nur kleine Auflagen gemacht, einfach weil es nur wenige Leute interessiert hat. Die haben wir bei Konzerten verkauft oder an Freunde verschenkt. Irgendwann sind die Sachen dann für horrende Summen auf amerikanischen Plattencheckerlisten aufgetaucht. Die Tatsache, dass auch Kenner nicht hören konnten, wo die Musik herkommt, hat uns in unserem Streben nach Authentizität natürlich bestätigt.

Trotzdem haben die Poets Of Rhythm keine dauerhafte Karriere gemacht. Wo ging's schief?
Schwer zu sagen. Es gab musikalische Differenzen, aber auch Unzufriedenheit mit der Entwicklung der einzelnen Leute in der Band. Es ist einfach so ausgelaufen – worüber ich aber nicht unglücklich bin. Denn es haben sich Nachfolgeprojekte in verschiedenen Konstellationen entwickelt, in denen wir mehr experimentieren und andere Einflüsse aufnehmen können, als das bei den Poets möglich war.

Schon damals gab es Kontakte zu den Leuten, die später Daptone gemacht haben, richtig?
Philip Lehman, der zusammen mit Gabriel Roth den Daptone-Vorläufer Desco gegründet hat, ist genauso ein verrückter Plattensammler wie ich. Der war mal zum Auflegen in München, so haben wir uns kennengelernt. Als Philip und Gabe dann Desco gestartet habe, haben sie uns gefragt, ob wir eine Platte für sie machen wollen. Das war 97/98, da sind wir nochmal ins Studio gegangen, aber sie haben unser Material abgelehnt, es war ihnen zu experimentell. Jahre später hat mir Gabe gesagt, wie sehr er diese Entscheidung inzwischen bereut.

Inzwischen spielst Du mit Boris in der Band Karl Hector & The Malcouns, da verarbeitet ihr afrikanische und orientalische Einflüsse. Wie kam es zu dieser musikalischen Richtungsänderung?
Der amerikanische Funk war Ende der Neunziger für mich gegessen. Zu der Zeit begann es aber, dass Plattensammler nach Afrika gefahren sind und ihre Entdeckungen wiederveröffentlicht haben, dadurch wurde nach und nach ziemlich viel afrikanische Musik zugänglich, die vorher kaum jemand kannte. Da bin ich auf viele Sachen gestoßen, die völlig unerhört und extrem inspirierend waren – genau wie zehn Jahre vorher beim Funk. Wobei bei afrikanischer Musik noch hinzu kommt, dass jedes Land seine eigene Musikkultur und seine eigenen Rhythmen hat, dass die Bandbreite also unendlich viel größer ist.

Ihr seid auf gewisse Art legendäre Typen, trotzdem kommen in München nicht mehr als hundert Leute, wenn Karl Hector & The Malcouns spielen. Frustrierend?
Ich habe oft vor größerem Publikum gespielt, aber da muss man in der Regel Kompromisse eingehen und das ist letztlich nicht mein Ding. Meine musikalische Unabhängigkeit ist mir wichtiger. Ich mache Musik um der Musik Willen, ich will den Leuten auch Sachen präsentieren, die sie nicht erwarten. Immer noch die alten Nummern der Poets Of Rhythm spielen zu müssen, um die Leute bei Laune zu halten, wäre mir ein Graus!

Klingt so, als würde es zur neuen Platte also nicht die große Reunion-Tour geben.
Bestimmt nicht. Mein Hauptprojekt sind Karl Hector & The Malcouns, Anfang des nächsten Jahres kommt unser neues Album raus. Dann haben wir ein Projekt mit zwei Musikern aus Sambia namens Zamrock, mit denen haben wir ein paar Festivals gespielt, vielleicht werden wir Aufnahmen machen. Es gibt noch ein paar weitere Projekte, aber die Poets Of Rhythm gehören, abgesehen von der neuen CD-Compilation, nicht dazu. Das ist abgehakt.