Patti Smith, ich habe gelesen, dass Sie sich jeden Morgen hinsetzen und als erstes etwas schreiben. Was haben Sie heute geschrieben?
Heute morgen habe ich am Exposé für mein nächstes Buch gearbeitet. Gestern waren es einige Absätze für meinen Krimi.
Stimmt es, dass Sie an einem Detektivroman arbeiten, der in England zur Zeit von Sherlock Holmes spielt?
Ich arbeite an drei Büchern gleichzeitig. Der Detektivroman hat verschiedene Schauplätze. Ich schreibe außerdem ein Buch, das an meinen Memorienband Just Kids anknüpft. Und einen weiteren Roman. Ich arbeite eigentlich immer an mehreren Projekten gleichzeitig. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte mich nur auf eine Sache konzentrieren, aber so bin ich nicht gestrickt.
Ihre neue Platte Banga klingt auffallend vital. Wie schaffen Sie es, nach all den Jahren immer noch so frisch zu wirken?
Ich denke, das hängt auch wieder mit meiner Arbeitsweise zusammen. Ich mache keine Platten, nur weil ich einen Vertrag mit einer Plattenfirma habe. Ich möchte meinem Publikum mit jeder neuen Platte eine neue Welt präsentieren. Bis ich diese Welt im Gehirn strukturiert und mit meinem Musiker ausgemalt habe, kann ich auch nichts herausbringen. Ich weiß, wie man Horses schreibt, mich hat es noch nie interessiert, etwas zu duplizieren. Was ich mache, muss auch für mich selbst neu und frisch sein. Meine Platten reflektieren immer das, was ich lese, womit ich mich beschäftige, worüber ich mir Gedanken mache.
Was dazu führt, dass auf ihrem Album der Heilige Franz von Assisi auftritt – wahrscheinlich eine Premiere in der Rockmusik!
Das weiß ich nicht, aber ich bin ziemlich sicher, dass noch niemand einen Rocksong über den Renaissancemaler Piero della Francesca gesungen hat. Doch auch das geschah ganz organisch. Ich war in Arrezzo und ganz begeistert von seinem Fresko »Der Traum Konstantins«. Zugleich hatte ich einen Alptraum, in dem Franz von Assisi auftrat. Außerdem habe ich mich mit den Entdeckern beschäftigt, die in die neue Welt gefahren sind. All das habe ich zum Song »Constantine’s Dream« verbunden. Es kommt immer darauf an, wie man bestimmte Konstellationen wahrnimmt. Manche sehen am Nachthimmel lediglich neun Sterne, aber die alten Römer sahen einen Wagen. So funktioniert das auch bei mir.
»Wir haben heute mehr Selbstvertrauen – und graue Haare«
Ab Mittwoch sind Sie in Deutschland auf Tour. Wenn Sie Ihre Konzerte heute mit denen in den Siebzigern vergleichen – was hat sich geändert, was ist gleich geblieben?
Links von mir steht immer noch Lenny Kaye, mit dem ich seit 1971 zusammenspiele, hinten sitzt Jay Dee Dougherty am Schlagzeug. Wir benutzen teilweise noch dasselbe Equipment wie in den Siebzigern – Fender Twin Size Amps, alte Fender-Gitarren –, und wir haben immer noch keine Lightshow, keine Loops, keine Backing Tracks. Wir spielen also nicht viel anders wie damals im CBGB’s – außer dass wir uns als Menschen und Musiker weiterentwickelt haben. Wir kennen uns so gut, dass wir besser improvisieren können. Wir haben heute mehr Selbstvertrauen – und graue Haare. Aber mehr ist gleich geblieben als sich verändert hat.
Ist der Rock’n’Roll noch so eine vitale Kunstform wie in den Sechzigern und Siebzigern?
Ich denke, dass der Rock’n’Roll unsere kulturelle Stimme ist und dass unter seinem Mantel immer noch alles möglich ist. Ich hatte das Glück, die großen Pioniere des Rock’n’Roll treffen zu können, als ich jung war, Musiker wie Bo Diddley und Jimi Hendrix. Heute definieren andere Musiker, was den Rock’n’Roll inzwischen ausmacht. Ich bin froh darüber, dass ich die Sechziger und Siebziger mitlerleben konnte, und ich bin froh, dass ich immer noch hier bin.
Kommt der Rock’n’Roll auf MP3 genauso gut rüber wie auf einer Vinyl-Single?
Klanglich funktioniert MP3 nicht so gut. Bei MP3 geht viel von dem verloren, was die Musiker rüberbringen wollten. Aber natürlich müssen neue Generationen selbst entscheiden, wie sie Musik entdecken und konsumieren wollen. Ich für meinen Part bin allerdings etwas altmodisch. Ich habe es sehr genossen, früher ein Album zu kaufen und das dann komplett anzuhören, ein um’s andere Mal. Ich finde es traurig, dass diese Erfahrung verloren geht.
Sie haben zwei erwachsene Kinder. Haben Sie bemerkt, dass die beiden ähnliche Musikerfahrungen gemacht haben wie Sie selbst als Teenager?
Nein, nicht wirklich. Meine Kinder sind beide Musiker, Rockmusik war ihnen immer wichtig. Trotzdem ist das nicht vergleichbar mit der Art, wie ich früher Musik erlebt habe. Eine Platte zu kaufen, war eine besonder Erfahrung. Wenn wir eine Platte wollten, sind wir in den Laden gegangen, haben sie gekauft und dann zu Hause angehört. Und wir hatten natürlich nicht das Geld für 50 oder 100 Platten, sondern nur für ein oder zwei. Das ist heute alles ganz anders.
Haben Sie sich mit Ihren Kindern je über Musik gestritten?
Nein, über Musik braucht man sich nicht zu streiten. Ich weiß allerdings noch, wie eines meiner Kinder mal eine Gruppe namens Boston gehört hat und ich nur sagte, mach das bitte leiser. Auch die Metallica-Phase meines Sohns fand ich ziemlich anstrengend. Aber generell sind sie sehr neugierig und hören sich auch John Coltrane an und andere Musik, die mir wichtig ist. Meine Tochter geht sogar mit mir in die Oper.
Einige Songs von Banga sind bei einer Schiffsreise auf der Costa Concordia entstanden, die sie vor drei Jahren unternommen haben.
Normalerweise ist das nicht meine Welt. Aber ich wollte mit Jean-Luc Godard arbeiten, der dort einen Film drehte, so kam es, dass wir zehn Tage an Bord waren. An zehn Tagen kann man so ein Schiff schon kennenlernen, letztlich war es dann doch recht interessant. Ich schrieb dort den Song »Senaca« und einige andere Texte.
Und dann kenterte das Schiff im Januar!
Da war ich extrem schockiert. Menschen verloren ihr Leben, darunter ein kleines Mädchen. Schrecklich! »Seneca« ist ein Schlaflied für mein Patenkind. Wenn ich den Song höre, denke ich an das kleine Mädchen, das gestorben ist. Ich glaube, sie hieß Dana.