»Indierock ist dumm«

Der Rapper Prinz Pi über Bob Dylan, das Themenspektrum seines neuen Albums »Kompass ohne Norden«, die »Dominanz der Dummen« im deutschen Pop und die Frage, warum er sich früher »Prinz Porno« nannte.

Foto: Cem Guenes

Prinz Pi, an Deinem neuen Album Kompass Ohne Norden (Keine Liebe Records/Groove Attack) imponiert mir besonders die Themenvielfalt: Es geht um Globalisierung, Erwachsenwerden, Mobbing, Depression, Identitätsfindung – alles wichtige Fragen, die zur Zeit aber meinem Empfinden nach nur relativ selten in Popsongs auftauchen. Warum traust Du Dich da ran?
Ich will mit meiner Musik etwas Wertvolles erschaffen. Das kann man definieren, wie man will, aber für mich hat Musik, die solche Themen bearbeitet, einen gewissen Wert.

Ich frage mich immer, warum solche Themen so selten im Indierock vorkommen, der sich ja oft progressiv und nachdenklich gibt.
Indierock ist dumm! Was die singen, ist oft einfach Quatsch.

Wie meinst Du das?
Die verstecken sich hinter ihren Formulierungen. Bands wie Tocotronic oder Blumfeld finde ich richtig doof. Nicht schlimm dumm, aber definitv auch nicht so schlau wie sie tun. Trotzdem wird das in der Spex dann als gehaltvolle, tiefe Musik verhandelt. Dabei gibt es meiner Meinung nach einen großen Bedarf nach klugen Texten. Für mich ist der beste Song einer, der wie ein Walt-Disney-Film funktioniert: Du erreichst die ganz jungen Hörer auf einer Ebene, die sie verstehen, aber auch ältere Hörer finden darin Zeilen, die sie ausdeuten können.

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Wer sind Deine Vorbilder als Texter?
Zum Beispiel Bob Dylan. Ich mochte seine Texte tatsächlich immer mehr als die Musik. Seine Songs gefallen mir oft besser, wenn sie jemand anders singt.

Dylan taucht im Titelsong Deines Albums auf, in der Textzeile »Bob Dylan gab mir einst einen Kompass ohne Norden«. Die Anspielung habe ich nicht verstanden, erklärst Du sie mir?
Das bezieht sich auch nicht auf eine konkrete Textstelle, obwohl mir neulich ein Journalist erzählt hat, dass Dylan in einem neueren Song wohl tatsächlich so etwas singt wie »my compass is broken«. Mir ging es bei der Zeile vor allem um Orientierungslosigkeit. Es gab eine Zeit, wo ich in den Songtexten meiner Idole nach Orientierung gesucht habe. Bei Dylan habe ich allerdings keine gefunden, nur zusätzliche Verwirrung.

In mehreren Songs des Albums beschreibst Du die Zeit nach dem Abi und die ersten Schritte ins Erwachsenenleben. Diese Zeit liegt bei mir schon 25 Jahre zurück, deshalb war ich überrascht, wie sehr mich Deine Beschreibung berührt hat.
Das könnte auch daran liegen, dass diese Songs Wurzeln in den Achtzigern haben, was dann eher Deine Zeit gewesen zu sein scheint. Bei »Frühstücksclub der toten Dichter« beziehe ich mich auf die Rollenbilder aus dem Film Breakfast Club: der Freak, die Schönheit, der Jock und so weiter. Diese Rollenbilder haben immer noch Gültigkeit, nur sind sie jetzt medial anders aufgeladen. Damals war die Cheerleaderin cool, heute ist es das Mädchen mit den vielen Followern bei Instagram und dem eigenen Modeblog.

In dem Lied geht es auch um Mobbing und darum, dass man sich nicht alles gefallen lassen soll.
Das bezieht sich auf ein Schlüsselerlebnis, das ich hatte. Ich war in Berlin auf einem sogenannten Elitegymnasium und dort der totale Einzelgänger. Lange war es so, dass ich irgendwie dazugehören wollte. Doch dann kam über Nacht der Punkt, wo es nicht mehr cool war, zu einer Gruppe zu gehören, weil jeder sein eigenes Ding machen wollte. Auf einmal waren die vormaligen Verlierer die neuen Gewinner.

Im Song »Moderne Zeiten« stellst Du den Retrotrend als Hindernis auf dem Weg ins Erwachsenenleben dar.
Für mich ist dieser Retrotrend das Produkt der typisch deutschen Zukunftsangst. Seit dem Ende der Ära Kohl wird gepredigt, dass es mit der deutschen Wirtschaft den Bach runtergeht. Am Horizont dräut immer nur Unheil, es herrscht permanente Alarmstimmung und den Jugendlichen wird prophezeit, dass sie keinen Ausbildungsplatz und Arbeitsplatz bekommen. Weil die Leute so große Angst haben vor der Zukunft, flüchten sie mittels Retrotrend in eine Vergangenheit, wo noch alles schön und heimelig war.

Letztlich lebt man aber doch in der Gegenwart. Welche Rolle kann die Popmusik heute spielen? Kann Sie weiterhin Hilfestellung bei der Beantwortung der großen Lebensfragen geben?
Ich glaube, dass Musik nach wie vor die beste Stütze für junge Leute ist. In dem Song »100x« spreche ich über die Zeit, wo man jung ist und einen Song einfach unendlich oft am Tag hören kann, weil man sich so sehr mit ihm verbindet. Das gibt es nach wie vor, das wird es auch immer geben. Diese große Kraft liegt nur in der Musik und vielleicht noch in manchen Büchern. Vielleicht jetzt sogar mehr in der Musik, weil anscheinend weniger gelesen wird.

Hörst Du von Deinen Fans, dass Deine Musik bei ihnen so eine Wirkung entfaltet?
Ja, das ist der Tenor des Feedbacks, das ich bekomme. Die Leute sagen: Deine Musik hat mich geleitet, sie hat mir an dem und dem Punkt im Leben geholfen. Darüber bin ich sehr glücklich. Wer kann das schon sagen, außer vielleicht einem plastischen Chirurg, dass das, was man macht, so einen positiven Effekt auf das Leben anderer hat.

Der Song »Säulen der Gesellschaft« besteht aus Kurzbeschreibungen verschiedener Charaktere vom Tagesschausprecher bis zum Nazi, die einen Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft darstellen. Was war der Hintergedanke?
Der Song hat ein literarisches Vorbild, nämlich den letzten Roman von Houllebecq, Karte und Gebiet. Da geht es um einen Maler, der mit einer Serie von Porträts berühmt wird. Das wollte ich auch machen: Stereotype herausgreifen, die dann aber so zeichnen, dass man es nicht bei einer eindimensionalen Beschreibung belässt, so dass sich der Hörer vielleicht bei seinen Vorurteilen ertappt fühlt.

Ebenso literarisch aufgehängt ist der Song »Rost«, in dem es um industrielle Transformationsprozesse im Zeichen der Globalisierung geht.
Der hat auch eine literarische Vorlage, nämlich Feridun Zaimoglus Roman Ruß, eine Kriminalgeschichte, die im Ruhrgebiet spielt. Weil ich diesen Roman so toll fand, heißt mein Song »Rost«; zumindest alliterativ ist es also eine Hommage an sein Buch. Ich habe mir dann aber auch alten Zechen angeguckt und viel weiteres Material gelesen, zum Beispiel diverse Unternehmensbiographien und den Roman Johann Holtrop von Rainald Goetz.

Da könnte man befürchten, dass es total schwer und verkopft ist.
Ich habe voll Angst, dass es das ist!

Wie kommt es eigentlich, dass Du schon so viele Alben gemacht hast? In Deiner Diskografie finden sich über ein Dutzend Alben, dazu unzählige Tapes und Sampler-Beiträge.
Ach, da war auch viel Mist dabei. Aber irgendwie muss es auch so sein. Der amerikanische Rapper Macklemore, den ich sehr schätze, sagt in einem Song, dass die großen Maler groß geworden sind, weil sie einfach viel gemalt haben. Ich denke, das gilt auch für die Musik: zu fünf Prozent ist es Talent, zu fünf Prozent Glück, zu 90 Prozent Fleiß.

Anfang der Nullerjahre warst Du schon beim inzwischen legendären Label Royal Bunker, als die Konkurrenz bei Aggro Berlin mit Sido große Erfolge feierte.
Ja, das war furchtbar. Die Dominanz der Dummen. In Deutschland gibt es sehr viele Musikhörer, die sich für platte Sachen begeistern: Rammstein, Unheilig, Xavier Naidoo. Was die machen sind Schwarz-Weiß-Gemälde, die an Plattheit und Pathos kaum zu übertreffen sind. Leute, die schöne Bilder malen, gibt es auch, aber die sind halt dann nicht so erfolgreich.

Wer sind für Dich die Lichtblicke im deutschen HipHop?
Mein persönlicher Held kommt aus Wien und heißt Kamp. Das ist für mich der ungekrönte König. Der hat so einen Charme in seiner Lyrik, so eine Wucht und Ehrlichkeit. Aber danach hört es dann schon wieder auf.

Was ich schon immer wissen wollte: Wieso hast du dich Prinz Porno genannt? Der Name ist schließlich recht missverständlich.
Ich hatte auf der Schule Altgriechisch. Und »pornos« heißt ja dreckig. Mit 15, 16 habe ich Graffitti gemacht und Prinz Porno war mein Graffitti-Name. Das fand ich sehr passend, weil die Graffitti-Kultur etwas dreckiges ist, das irgendwo hingeschmiert wird. Allerdings dachten später viele, ich mache frauenverachtende Musik - was ja auch nicht so weit hergeholt ist bei dem Namen. Deshalb habe ich mich in Prinz Pi umbenannt. Pi ist auch ein griechischer Buchstabe, zugleich die Kreiszahl, eine sehr mysteriöse Zahl mit unendlich vielen Nachkommastellen. So wie ich unendlich viele Alben machen werde.