B.B. King lebt noch. Ebenso Buddy Guy und Hubert Sumlin. Aber es gibt nicht mehr viele Blues-Gitarristen, die schon vor dem Blues-Revival in den Sechzigern aktiv waren. Anfang der Woche ist nun einer der letzten großen Meister dieser Stilrichtung gestorben: der unvergleichliche Snooks Eaglin. Eaglin stammte aus New Orleans und war seit seiner Kindheit blind. Mitte der Fünfziger machte er seine ersten Aufnahmen, unter anderem als Gitarrist bei Smiley Lewis, sein 1958 erschienenes Debüt New Orleans Street Singer spielte er jedoch ganz alleine ein, ohne Band. Wegen seines virtuosen Blues-Pickings war das Album eine Sensation, und der Titel war nicht einmal gelogen: Zu dieser Zeit verdiente Eaglin sein Geld tatsächlich als Straßenmusiker im French Quarter von New Orleans, wo man ihn wegen seines breiten Repertoires »The Human Jukebox« nannte.
Eaglin konnte jeden an die Wand spielen und hätte das Zug zum Star gehabt, war jedoch ein zu zurückhaltender Mensch, um sich ganz nach vorne durchzuschlagen. So machte er im Lauf der Jahrzehnte nur eine Handvoll Platten, die jedoch alle exzellent sind. Seit Jahren trat er nicht mehr außerhalb von New Orleans auf, und auch in seiner Heimatstadt gab es nur noch zwei Orte, an denen er spielte: Zum einen das alljährliche Jazz & Heritage Festival, zum anderen eine Bowlingbahn namens Mid City Lanes. Es tut mir leid, aber ich muss jetzt etwas pathetisch werden: Ich bin dankbar, dass es mir vergönnt war, Snooks Eaglin dort einmal spielen zu sehen.
Es war vor zwei Jahren, ein Montag abend Ende April. Die Mid City Lanes liegen an einer der Ausfallstraßen, die aus New Orleans herausführen, und direkt hinter dem schmuddeligen Gebäude führt eine auf Stelzen durch die Stadt geführte Autobahn vorbei. Als wir um neun dort ankamen, saßen Eaglin und seine Frau Dorothea, mit der er seit fünfzig Jahren zusammen war, schon an einem Tisch neben der Bühne.
Um zehn fing er an zu spielen, begleitet von einem Bassisten und einem Schlagzeuger. Vom ersten Stück an trat der blinde Musiker in einen intensiven Dialog mit dem Publikum, für die Stimmung der Leute vor der Bühne schien er einen sechsten Sinn zu haben. »What do you want to hear?«, fragte er und spielte danach, wie einst als Straßenmusiker, nur noch auf Zuruf. Es steckte so viel Musik in Snooks Eaglin, dass er noch lange nicht fertig war, als wir um eins gingen. »He was the most New Orleans of all the New Orleans acts that are still living«, hat John Blancher, Besitzer der Bowlingbahn, in einem Nachruf auf Eaglin gesagt, der in der Regionalzitung Times-Picayune erschien.
Auch bei diesem Konzert fiel die Vielfalt seines Repertoire auf. Es war natürlich eine Menge knisternder Blues dabei, mit seiner Krächzstimme unvergleichlich vorgetragen, aber als jemand im Publikum »Night Life« rief, spielte Eaglin aus dem Stegreif eine balladesk zerdehnte Instrumentalversion des Willie-Nelson-Klassikers, die zum Dahinschmelzen war. Als Europäer in den US-Süden zu fahren und dort nach dem »echten Blues« zu suchen, ist natürlich ein Klischee. Aber in jedem Klischee liegt ein Körnchen Wahrheit, und ich bin davon überzeugt, dass der Blues in den letzten Jahren tatsächlich nirgendwo unverfälschterer – und virtuoser – gespielt wurde als von Snooks Eaglin in den Mid City Lanes. Der Bowlingbetrieb, das sei noch angemerkt, ging während seines Konzerts natürlich normal weiter.