Manchmal, plötzlich, fällt mir das Teilen schwer und ich erinnere mich daran, was mir gehört. Ich raffe zusammen, klammere mich an Details, werde kleinlich. Das französische Kleid mit den weißen Streifen, ich habe es für Martha gekauft – wo ist es eigentlich? Ich wühle hektisch in den Schränken der Kinder, schreibe eine SMS an Jan, nachts: Wo ist das Kleid mit den weißen Streifen? Hat es bei einem Kleidertausch den Haushalt gewechselt? Habt ihr es verschenkt? Jan kann sich nicht erinnern: Ist es jetzt so wichtig? Ja, unbedingt, mein Leben zerfranst.
Ich wäre gerne so leicht wie meine Kinder. Sie wurden nie gefragt, ob sie ihre Eltern teilen möchten, die Zimmer, Betten, die Schulgeschichten. Es wirkt so, als machte es ihnen nichts aus. Sie teilen ihr Leben mit den Patchworkgeschwistern Marie und Robin, die ich nur von meinen Besuchen kenne. Anna verbringt viel Zeit mit meinen Töchtern, und Jan sagt, sie mache das vorsichtig und gut. Sie spreche von mir, erinnere an die Mutter, die 18 Straßenbahnminuten weit weg wohnt. Mir sind ihre Kinder so vertraut wie Spielkameraden aus der Nachbarschaft. Ich lebe nicht mit ihnen, und trotzdem gehören wir nun zusammen, irgendwie. Wir sagen uns Hallo, wechseln ein paar Sätze, und am Tisch reiche ich ihnen den Saft rüber.
Wir sitzen in der Küche mit dem Holzofen, Martha ist nach zwei Wochen zurückgekehrt, sie war in England, ein Schüleraustausch. Anna hat Freunde eingeladen, Jans Bruder ist zu Besuch, wir prosten uns zu. Neben mir am Kopfende die Kinder, wild geschminkt, es ist Halloween. Alle reden durcheinander, die Kinder am lautesten. Sie sind aufgeregt, endlich sind sie wieder vereint. Sie erzählen Geschichten, sagen krass, geil und scheiße, und als es mir zu dolle wird, sage ich: Es reicht, wir essen ja gerade! Kaum eine Unterhaltung ist möglich, die Kinder dominieren die Gesellschaft. Es kümmert sie nicht. Irgendwann springen sie auf, das Baguette noch in der Hand, und verschwinden kichernd.
Wir trinken. Reden. Um halb zehn kommt Martha an unseren Tisch und erklärt, sie würden nun einen Film schauen. Ist zu spät jetzt, sage ich, hier guckt keiner mehr einen Film. Die Tür fliegt. Jan folgt Martha, ich folge Jan. Ich höre, wie Marie sagt: Was können wir dafür, dass wir plötzlich um halb zehn ins Bett gehen sollen? Sie ist 13 wie Martha, zusammen sind sie eine wilde 13. Jan beginnt zu diskutieren, da rufe ich wütend, dass es mir ganz egal sei, was Marie denke. Meine Kinder würden normalerweise um halb neun ins Bett gehen. Meine Kinder. Normalerweise. Ein dummer Satz, wenig hilfreich. Ich begreife, dass ich gehen muss. Es ist nicht mein Haushalt, die Regeln sind andere, ich habe weder die Übung noch die Lizenz, vier Kinder zum Schlafen zu bewegen.
In der Tram versuche ich zu lesen, mir ist kalt. Zuhause gehe ich sofort ins Bett. Als gelte es Schlaf zu sammeln, den andere brauchen.
Illustration: Grace Helmer