Seit fast zwei Jahren ist klar, dass Chris Dercon im September 2017 auf Frank Castorf als Intendant der Berliner Volksbühne folgen wird. Und seit fast zwei Jahren ist diese Nachfolge ein Riesenthema. Berlin will den Mann nicht.
Erstens, weil Castorf nicht gehen will, sondern gehen muss: Es war eine Entscheidung von Tim Renner, Kulturstaatssekretär des Landes Berlin unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, gleich mehrere langjährige Intendanten in Berlin abzurufen: Claus Peymann, Jürgen Flimm, Frank Castorf. Das ärgert alle drei, und das verbindet alle drei.
Zweitens ist Dercon kein Deutscher und drittens kein Theatermann. Dercon ist in Brüssel geboren und leitete seit Anfang der 90er Jahre sehr erfolgreich verschiedene Museen, darunter das Haus der Kunst in München und zuletzt die Tate Modern in London. Dercons Erfolg und seine internationale Karriere in der Kunstwelt machen ihn zur Bedrohung. Der Begriff Kurator wird zum Feindbild, gleichgesetzt mit dem Manager, dem Gentrifizierer, dem Neoliberalen.
Um die Nachfolge eines Giganten wie Castorf anzutreten, braucht es Mut, vielleicht sogar eine Portion Gleichmut. Dercon bringt beides mit. Und vielleicht ist die Idee, nicht einen anderen großen, verdienten, langjährigen Intendanten auf Castorf folgen zu lassen, gerade richtig. Aber das wird man erst beurteilen können, wenn Dercon wirklich angefangen hat.
Das SZ-Magazin hat Chris Dercon in dieser schwierigen Zeit immer wieder getroffen. Wir haben gefragt, wie er mit den Anfeindungen umgeht und gesehen, er schießt gern zurück. Wir waren dabei, als er in London verabschiedet wurde. Wir haben ihn in Berlin besucht, in seinem Ladenbüro auf der anderen Straßenseite der Volksbühne, die immer noch Castorfs Haus ist, und so lange sie Castorfs Haus ist, ist er höchst unwillkommen. Wir haben mit Leuten geredet, die ihn differenzierter betrachten als Berlin das bisher tut, weil sie ihn kennen. Und wir haben mit Dercon geredet, was nicht einfach ist, weil Dercon ein Meister im Entwischen ist.
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