Im Namen der Hose

Norwegens Beachhandballerinnen wollten nicht länger in sexistischen Bikinihöschen spielen und müssen jetzt ein Bußgeld für zu viel Stoff zahlen. Die deutschen Beachvolleyballerinnen wiederum wehrten sich jüngst gegen längere Kleidung. Warum es ein Problem ist, wenn Frauen vorgeschrieben wird, was sie tragen sollen.

Wollen mehr Stoff: Die norwegischen Beachhandballerinnen (hier in den vorgeschriebenen maximal knappen Spielhosen beim WM-Finale 2018 gegen Griechenland). 

Foto: Ilnar Tukhbatov/Epsilon/Getty Images

Der Aufschrei war vorprogrammiert. Die norwegischen Beachhandballerinnen wollten bei der gerade zu Ende gegangenen Europameisterschaft in Bulgarien nicht die üblichen Bikini-Höschen tragen. Sie seien zu freizügig und schlicht zu unbequem, vor allem, wenn man gerade seine Periode habe, sagten sie zur Begründung. (Jede Frau, die schon mal versucht hat, drei Meter in Badehose zu laufen, ohne sich ständig am Po rumzunesteln, weiß ungefähr, wovon die Rede ist.) Also trugen die Sportlerinnen beim letzten Spiel um Platz 3 am Sonntag kurze Radlerhosen, woraufhin der europäische Verband nicht etwa mit einem gelangweilt »so what..?« reagierte, sondern ein Bußgeld verhängte von 1500 Euro. Mehr als 10 Zentimeter Stoff an der Seite, das gehe nun wirklich zu weit.

Besser kann man heutzutage nicht reagieren als Veranstalter, wenn man einen mittleren Shitstorm wegen Sexismus am Hals haben will. Sportlerinnen die Po-Bedeckung vorschreiben – und zwar nicht auf der nach oben offenen Richterskala, sondern in die umgekehrte Richtung, während Männer lockere Shorts tragen dürfen. Aber Vorschriften seien nun mal Vorschriften, hieß es. Die zu erwartende Aufregung auf Twitter folgte prompt. Daraufhin meldete sich der norwegische Handballverband und erklärte, sie wären hocherfreut, das Bußgeld zu bezahlen. 

Das alles wäre allerdings nur halb so interessant, wenn nicht Anfang des Jahres bei den deutschen Kolleginnen vom Beachvolleyball das genaue Gegenteil passiert wäre (und obendrein noch Boris Johnson und Tom Cruise ins Spiel kämen, aber dazu später). Tatsächlich hatte das deutsche Spitzenteam Karla Borger und Julia Sude ein Turnier in Katar boykottiert, weil sie in dem arabischen Emirat zunächst nicht im Bikini spielen durften. Freizügigkeit in der Öffentlichkeit gilt dort bekanntlich als anstößig. Das sei aber nun mal ihre »Arbeitskleidung« und Katar das einzige Land, das ihnen vorschreibe, wie sie ihren Job zu erledigen hätten, sagte Borger einem Radiosender. »Das kritisieren wir.« Auch noch erwähnenswert: Die deutschen Turnerinnen traten bei der EM im April erstmals in langen Turnanzügen an und sagten: »Uns geht es als Team darum, zu zeigen: Hey, ihr könnt anziehen, was ihr möchtet, aber die Sportart bleibt trotzdem gleich toll, und jetzt könnt ihr euch auch noch wohler fühlen.«

So einfach ist die Lösung wohl: Manche Vorschriften sind mittlerweile einfach überholt beziehungsweise »unwoke«, wie etwa das Verbot der Soul-Cap-Badekappe speziell für Schwimmerinnen mit Afro oder Dreadlocks. Sportler und Sportlerinnen sollten, zumindest was die Form angeht, tragen können, womit sie sich am besten und wohlsten fühlen (so lange noch eine Startnummer draufpasst und es ihnen keine Wettbewerbsvorteile verschafft). Bei den Olympischen Sommerspielen 2012 in London wurde nach jahrelanger Kritik für die Beachvolleyballerinnen immerhin der lange als sexistisch geltende Dresscode gelockert. Neben Bikinihöschen (mit nur sieben Zentimeter Seitenlänge) dürfen sie mittlerweile auch Shorts, Einteiler oder – wie das ägyptische Team damals – lange Sachen tragen.

Die einfache Lösung: Jeder darf tragen, was er oder sie möchte, so lange kein Wettkampfsvorteil entsteht. Hier im BIld: Deutschland gegen Ägypten bei den letzten Olympischen Spielen.

Foto: Reuters

Und jetzt kommt Boris Johnson. Sein denkwürdigstes Sport-Zitat ist nämlich keineswegs das legendäre »Ping pong formerly known as whiff whaff is coming home«. Bei den Olympischen Spielen in London schrieb der damalige Bürgermeister der Stadt eine Kolumne für The Telegraph und war besonders vom Beachvolleyball der Frauen angetan: »Während ich das hier schreibe, spielen halbnackte Frauen mitten auf der Horse Guards Parade (...). Sie glitzern wie nasse Otter (..). Das Ganze ist einfach nur wunderbar und verrückt.« Vor allem so durchgeknallt, dass man eigentlich – brutale Hitze am Strand hin oder her – sofort eine anti-voyeuristische Kleiderordnung einführen möchte, nur damit Männer wie Boris Johnson keine feuchten Otter-Fantasien bekommen. Ob Beachvolleyball allerdings dann immer noch der Sport mit den höchsten TV-Einschaltquoten bei Olympia bliebe? Kann ja jeder Mal für sich selbst drüber nachdenken, ob da vielleicht ein Zusammenhang besteht.

Ein bisschen ausgleichende Gerechtigkeit kommt ausgerechnet von Tom Cruise: Die Beachvolleyball-Szene aus dessen Film Top Gun gilt bis heute als unübertroffene männliche Pin-up-Sandkastennummer. Drei nackte Oberkörper (der vierte durfte wegen mangelndem Sixpack das Shirt anbehalten), wippende Armee-Erkennungsmarken am Hals, bisschen Zeitlupe, viel Abgeklatschte und Rumgepose, dazu der schön deskriptive 80er-Soundtrack von Kenny Loggins »Playing with the boys.« Boris Johnson würde sicherlich wieder einen schönen Vergleich aus dem Tierreich fischen, vielleicht so etwas wie eingeölte Springböcke.

In einem Forumsbeitrag wurde bereits dringend darauf hingewiesen, die (wegen Corona immer wieder verschobene) Fortsetzung Top Gun 2 dürfe unmöglich ohne Beachvolleyball-Szene auskommen. Leider ist im Trailer bislang nur eine kitschige Gegenlicht-Szene mit Football zu sehen. Dafür mit freiem Oberkörper. Immerhin.

Typischer Instagram-Kommentar: »Voll in den Sand gesetzt«
Das sagt der Mathematiker: »Sind zehn Zentimeter Länge bei großen Frauen im Verhältnis nicht noch sehr viel weniger als bei kleinen Frauen...?«
Passender Song: »Bootylicious« (Destiny’s Child)