Skateboardfahren geht so: Man kauft sich ein Holzbrett mit Rollen darunter, stellt sich wackelig das erste Mal drauf – und fällt hin. Dann lernt man, unter vielen weiteren Stürzen, mit dem Brett die Straße entlang zu fahren. Allmählich übt man erste Tricks, stürzt und stürzt und stürzt, bevor Ollies und Kickflips und Boardslides endlich klappen. Bis man immer höher springen und immer schneller fahren kann auf seinem Skateboard, wobei man naturgemäß bei Fehlern härter auf den Boden kracht.
Weil man als Autor dieser Stilkritik selbst seit mehr als 30 Jahren Skateboard fährt, weiß man, dass bei der Begegnung Haut vs. Asphalt der Boden gewinnt. Und darum denkt man bei dem Foto (siehe oben) der Skaterin, die in kurzen Hosen mit bauchfreiem, kurzärmeligen Shirt in eine recht steile »Bowl« hineinfährt: Jetzt bloß nicht stürzen. Sonst gibt es die Hautabschürfungen, die man so gut kennt, die beim Heilungsprozess zwei-drei Tage lang so richtig schön durchnässen.
Aber vielleicht ist man selbst nur sehr weinerlich und darum ruft man die Skateboardfahrerin Lea Schairer an, zweifache Deutsche Skateboard-Meisterin und Bundestrainerin des deutschen Olympia-Skate-Teams. Gefragt, ob sie beim Durchsehen der neuen »Skate- und Surf-inspirierten Sommerkollektion« von H&M (ab heute im Handel), die ausschließlich kurzärmelig und beinfrei ist, auch diesen »Aua«-Gedanken hat, antwortet Schairer: »Ich fahre nur mit langen Hosen Skateboard, selbst bei 30 Grad im Sommer, was nicht immer angenehm ist, aber ich fühle mich da einfach sicherer.«
Es gibt schon Skater und Skaterinnen, das sagt auch Lea Schairer, die gerne mal in Hosen fahren, die so kurz sind wie die der H&M-Kollektion, »aber die Skateprofis, denen ich auf Social Media folge, haben solche Sachen nicht an, oder sehr selten.« Wer gut fährt, weiß zumindest, wie man sich abrollt. Aber gerade Anfängerinnen, an die sich die H&M-Kollektion vordergründig richtet, stürzen schmerzhafter. Trotzdem hat H&M nicht eine lange Hose in dieser Kollektion. War Bein zeigen wichtiger als Bein schützen?
Es gibt Skaterinnen, die auf ihren Instagram-Posts auffallend wenig Kleidung anhaben, während sie eher einfache Tricks machen, dafür aber Tausende Likes kriegen. Und manche männlichen Skater lassen sich stolz mit freiem, durchtrainierten (und aufgeschürften) Oberkörper filmen. Jeder darf tragen, was er oder sie möchte, aber so ein bisschen Kausalkette darf man doch mal vermuten. Lea Schairer nennt das »skaten um Likes abzugreifen«. Auch in anderen Sportarten wie etwa Beachvolleyball oder Leichtathletik ist die Kleiderlänge und der Social-Media-Druck ein Thema. Die deutsche Nationalmannschaft der Turnerinnen hat bei der Europameisterschaft gerade ein Zeichen gegen Sexualisierung ihres Sports gesetzt, in dem sie als erste Mannschaft in einem Ganzkörperanzug turnte, statt im üblichen, extrem kurzen Turntrikot.
Bei der H&M-»Skate- und Surf-inspirierten Sommerkollektion« wurde vielleicht nur etwas kurz gedacht und das coole Sommer-Sonne-Fun-Image dieser beiden Sportarten abgegriffen. Wie man es etwas besser macht, kann man bei Firmen wie Nike, Levi's oder Adidas sehen, deren Skateboard-Kollektionen zum Sport passen, etwa besonders haltbare Skate-Schuhe und Jeans mit hohem Stretchanteil. Erfreulicherweise gibt es inzwischen auch Firmen wie »Proper Gnar« (geführt von der afroamerikanischen Skaterin Latosha Stone) oder »Meow Skateboards«, die von Skaterinnen gegründet werden. Und die alten, von weißen Männern geschaffenen Skateboardbrands haben eigene Frauen-Linien, wie Vans etwa (mit langen Hosen und Kapuzenpullis im Sortiment).
Bleibt unbedingt noch zu erwähnen, dass H&M mit seiner »Skate- und Surf-inspirierten Sommerkollektion« ja auch »Empowerment zelebrieren« möchte. Die drei jungen Frauen, die in der begleitenden Werbekampagne zu sehen sind, sind Mitglieder der gemeinnützigen Organisation »Black Girls Skate«. Deren Ziel ist die überfällige Gleichberechtigung und Sichtbarkeit »aller Skater*innen, die sich als Frauen und/oder non-binär, Schwarz, afrikanisch oder People of Colour identifizieren«. Auf die Frage, wie groß das Diskriminierungs- oder Rassismusproblem im Skateboarding ist, scheibt die »Black Girls Skate«-Sprecherin zurück: »Wie viele Skateshops und Skatefirmen werden denn von Minderheiten betrieben, wie viele Skateparks werden von Schwarzen oder queeren Skaterinnen entworfen und betrieben?«
H&M schreibt, man möchte den »Black Girls Skate«-Frauen eine Plattform geben, im H&M-Magazin ihre individuellen Geschichten zu erzählen. Das ist gut. Man könnte bei der Gelegenheit fragen, ob H&M nicht auch mal all den jungen People-Of-Colour-Frauen eine Stimme und Plattform geben möchte, die in H&M-Zulieferfabriken in etwa Bangladesch arbeiten. Und wie es mit deren Empowerment, Sichtbarkeit und Gleichberechtigung aussieht. Aber das muss gar nicht das gute Anlegen überdecken, die wachsende Zahl von People-Of-Colour-Skatern und -Skaterinnen noch zu steigern.
Die »Black Girls Skate«-Sprecherin lobt im Mailverkehr die Zusammenarbeit mit H&M. Beim Entwerfen der Kleidung wären sie zwar nicht direkt beteiligt gewesen, sie hoffen aber, als Organisation bald selbst eine Skate-Kollektion entwerfen zu können. Vielleicht dann auch mit langen Hosen?
Wird auch getragen von: Käufern der Lidl-Supermarkt-Kollektion »Rock« mit AC/DC- und Sex-Pistols-Shirts.
Typischer Instagram-Kommentar: »Lustiges Pflaster-Motiv!«
Passender Song: »Sk8er Boi« (Avril Lavigne)