Weihnachten wird dieses Jahr so kuschelig, es wird nicht auszuhalten sein. Überall Familien, von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, und deshalb von oben bis unten in flauschige Klamotten gehüllt. Denn in diesen Zeiten, das wissen wir mittlerweile alle, hilft einerseits Abstand-, aber andererseits auch Zusammenhalten; zumindest mit dem eigenen und diesem einen anderen Haushalt. Und wenn das schon die einzigen Menschen sind, die einem gerade nahekommen, dann darf es nirgendwo kratzen, es muss knuddelig weich bis zum Geht nicht mehr sein.
Das zumindest versucht uns die Werbung im Ausnahmezustand gerade einzutrichtern. Normalerweise werden um diese Zeit überall Partykleider und Paillettentops angepriesen. Die alljährlichen »Festive Looks« sind auch keineswegs zurück in die Lager geräumt worden. Es gibt da draußen weiterhin massenhaft Glitzer im Angebot (und ganz sicher auch ein Bedürfnis danach). Aber aus der leider absolut begründeten Angst, dass viele dieses Jahr in Ermangelung entsprechender Anlässe am Ende doch nicht den nächsten Ausgehfummel kaufen, haben viele Modeanbieter blitzschnell umdisponiert und sind in die Kuscheloffensive gegangen.
So wirbt Boden in seiner aktuellen Onlinekampagne mit Kaschmirware für »Kuschelig weiche Momente«, Tchibo zeigt unter dem Motto »Wo Gemütlichkeit zu Hause ist« Lounge- und Homewear für die Festtage. Eigentlich müsste es dieses Jahr ja richtigerweise Festsitztage heißen, weil wir das Haus, wenn wir uns korrekt verhalten, möglichst wenig verlassen werden. Deshalb hat die irische Kette Primark nicht nur an Weihnachtspullover für die ganze Familie gedacht, sondern auch eine Reihe Pyjamas im Gemeinschaftslook entworfen. Was müssen wir in diesen Zeiten eigentlich noch alles über uns ergehen lassen?
Was wir kaufen, ob Pailletten oder Pyjamas, ist der Wirtschaft herzlich egal, Hauptsache wir geben Geld aus
Vater, Mutter, diverse Kinder plus Hund, wie sie alle mit demselben Rentier-Motiv oder im Eisblumen-Strampler lustig um den Baum herumlungern – das ist für viele keine gemütliche, sondern eine beklemmende Vorstellung. Am besten bekommen die Schwiegereltern gleich auch noch eine Garnitur unter den Baum gelegt. Lustige Sträflingskleidung für die Sippenhaft. Jede halbwegs intakte Familie dürfte solch aufgesetzte Teambuilding-Maßnahmen eigentlich nicht nötig haben. Sollten Teenager beim Anblick ihrer Eltern im vereinten Rentierdress den letzten Funken Respekt vor ihnen verlieren, kann ihnen das niemand verdenken.
Der radikale Kuschelkurs offenbart freilich nur das aktuelle Dilemma der Modebranche: Nach dem Teil-Lockdown sollen wir wie ausgehungerte Konsum-Lemminge noch möglichst viel vom Weihnachtsgeschäft ankurbeln. Was wir dann kaufen, ob Pailletten für 10-Personen-Partys oder Pyjamas, ist der Wirtschaft herzlich egal, Hauptsache wir geben Geld aus, auf Konsumverweigerung ist der Kapitalismus nicht ausgelegt. Monopoly, das werden viele beim geselligen Spielen diese Weihnachten wieder feststellen, funktioniert ja auch nicht, wenn man keine Straßen kauft.
Aber was, wenn wir nun weder Lust auf Abendkleider, noch auf noch mehr gemütliche Jogginghosen und Cardigans und schon gar nicht auf die Familienpackung-Schlafanzüge haben? Vielleicht ist die ebenfalls coronabedingt aufstrebende Produktkategorie des »Party Pantoffels« von Marken wie Jimmy Choo eine Kompromisslösung: durchaus glamourös, ziemlich bequem, drinnen zum Pyjama, wenn es nach Rihanna geht auch draußen im Ausgang tragbar. Außerdem eine hübsche Fußnote zur umstrittenen »besondere Helden«-Kampagne der Bundesregierung. Wenn schon Pantoffelheld, dann richtig.
Das steht auf der Weihnachtskarte 2020: »We wish you a very cosy christmas!«
Typischer Instagram-Kommentar: »Ist der neu? Oder mit Perwoll gewaschen?«
Passender Soundtrack: Kuschelrock Teil 1 - 34