In der Mode tut man sich in diesem Jahrzehnt schwer, eine greifbare, definierbare Optik zu finden, einen roten Faden, der sich in Form einer Silhouette, Saumlänge oder auch nur allgemein gültigen Attitüde darbietet und unsere Zeit erkennbar als die unsere einrahmt. Von Luxus-Sportswear über gewollt tantige Blümchenkleider bis hin zu Paillettentops am Tag, gerne miteinander kombiniert: Alles geht, alles soll, nichts bleibt dadurch kategorisierbar. Kein Wunder, dass wir uns seit zwei Saisons wie wild auf die Siebziger stürzen, oder die Neunziger. Die waren zwar nicht immer schön, dafür aber eindeutig.
Doch es gibt ein Modedetail, das sich in den letzten zehn Jahren als typisch für unsere Zeit entpuppt: der Top Knot, die Haupthaar-Uniform unserer Zeit, fest oder auch locker gebunden, oben am Kopf thronend. Übrigens ist dies einer der ganz seltenen Trends, den Männer von Frauen übernommen haben (bei ihnen ist er allerdings meist weiter unten platziert)
Wer sich nun wundert: »Aber dieser Top Knot ist doch nicht neu!«, dem sei mit Fräulein Rottenmeierhafter Strenge erwidert: Jetzt aber bloß nicht mit dem Dutt oder dem Chignon verwechseln! Diese finden oder fanden auf dem Hinterkopf statt, und wurden ladylike mit Haarnadeln gesteckt, glamouröse Vertreterinnen waren Catherine Deneuve in »Belle de Jour« und Audrey Hepburn im kleinen Schwarzen samt Zigarettenspitze. Aber insgesamt war der Dutt die Frisur von Müttern, Tanten und Omas, von Klavierlehreinnen, von Damen; er war eindeutig erwachsen. Hingegen ist der Kopfknödel (in Ermangelung eines deutschen Wortes für Top Knot) ein locker auf dem Oberkopf zusammen gezwirbelter Haarknoten, der leicht spätpubertär schreit: »das hat nicht mal fünf Sekunden gedauert!«.
Man wundert sich eigentlich, dass die dieser Tage so hochgelobte »Pariserin« den Kopfknödel nicht häufiger trägt (sie präferiert immer noch das lange, ungekämmte Haar), denn er besitzt die perfekte Nonchalance des Parisienne-Klischees, das genau das diktiert: im Bad dürfe man sich nicht länger als fünf Minuten aufhalten, richtiger gesagt: so aussehen als ob.
Seine bescheidenen Anfänge nahm der Kopfknödel auf den Schädeldecken von Berliner Bloggerinnen, Szenemiezen, Kunst- und Modestudentinnen Anfang des Jahrtausends, allesamt Mädchen, die gerne mit neuen Silhouetten spielten und Fahrrad fuhren, sich aber nicht so gerne das Haar wuschen, weil sie ja wichtigeres zu tun hatten: ein Start-Up für vegane Mauspads gründen zum Beispiel.
Und nun hat es der Kopfknödel von Prenzlberg zu den Hollywood Hills geschafft, innerhalb eines Jahrzehnts ist der zur coolsten Frisur weltweit avanciert. Und zur demokratischsten: unabhängig von Anlass, Alter, Garderobe oder Make-up – der Top Knot geht in den Supermarkt und zur Gala, ins Gym oder zur Vernissage. Eigentlich ist er eine strenge Angelegenheit und erfordert bei der Trägerin einen gewissen Mut: legt er doch das ganze Gesicht frei und entblößt dabei Segelohren und hohe Stirnen. Aber zum Glück ist dies ja auch das Jahrzehnt der überdimensionalen Brillen, die in diesem Fall angenehm nivellierend wirken.
Zuletzt wurde der Top Knot vor allem bei high-maintenance-Diven gesehen: Zu Glitzer, Karat und kunstvoll bestickten Haute-Couture-Roben wirkt er entschärfend, normalisierend, als wäre dieser Look nicht sorgfältig erschaffen und stundenlang geprobt worden. Auch verrät der Top Knot nichts über das Alter der Trägerin: Die 20-jährige Kendall Jenner trägt ihn, aber ebenso Jennifer Lopez, Julianne Moore oder Gwen Stefani, denn auch mit Mitte 40 oder 50 sieht er nicht befremdlich aus. Vor allem die Frauen, die noch vor ein paar Generationen als Damen mit Dutt gegolten hätten, bedienen sich seiner gern, denn er ist jung, unkompliziert, einfach ein »fun bun«. (US-Harper's Bazaar)
Vor einigen Wochen erreichte uns dann die Schreckensnachricht: Laut Experten verursache der Top Knot Haarausfall; durch das zu feste, permanente Zerren an den Haaren drohe Traktionsalopezie, zu deutsch: punktueller, irreversibler Haarverlust. Und nun? Wird es uns wie ehemaligen Samurais ergehen? Die durften sich mit fünfzehn Jahren als Symbol ihres Status einen Haarknoten binden, doch bei Beendigung des Samurai-Daseins (und somit des damit einhergehenden gesellschaftlichen Status) musste dieser in einer feierlichen Zeremonie abgeschnitten werden. Wir haben Jennifer Lopez genau im Blick.
Wird getragen von: Stars, Models, Samurais, Pebbles Feuerstein
Nicht zu verwechseln mit: Dutt, Chignon, Samurai-Haarknoten
Kommt aus ohne: Shampoo, Haarnadeln, Knödelsoße
Soundtrack: I’m on top of the world
Foto: Gettyimages / Dimitrios Kambouris, Jason Merritt, Jacopo Raule