Ich schreibe diesen Text mit einem Auge. Das andere hat währenddessen das Handy im Blick, das neben der Tastatur liegt. Der Bildschirm ist schwarz, aber sollte dort eine Nachricht aufleuchten, darf ich das auf keinen Fall verpassen. Dann muss ich sofort reagieren können. Zumindest denke ich das. Mein Mann, von dem diese Nachricht kommen würde, denkt das nicht. Wenn es wirklich ein Problem gäbe, würde er ja anrufen. Trotzdem bin ich unruhig. Denn: Das Kind ist krank. Es ist gut versorgt, der Vater ist mit ihm zuhause, sie waren beim Arzt, haben Medikamente, eigentlich gibt es keinen Grund zur Sorge. Das weiß ich alles. Aber es hilft nichts – wenn das Kind krank ist, ist es für mich als Mutter schwer, nicht daran zu denken. Obwohl wir als Eltern versuchen, die Pflege- und Erziehungsaufgaben gleichberechtigt zwischen uns aufzuteilen, habe ich das Gefühl: In Krisensituationen bin ich ein bisschen mehr verantwortlich.
Ich habe das lange nicht hinterfragt. Bis ich vor ein paar Wochen mit dem Mann einer Freundin sprach, er ist Führungskraft in einem großen Unternehmen. Es ging um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und er schwärmte mir von berufstätigen Müttern vor: »Es beeindruckt mich, wie ihr das alles schafft, echt, Hut ab. Mütter sind so gut organisiert und strukturiert, da ist nix mit Prokrastinieren am Schreibtisch. Ich würde gern viel mehr Mütter einstellen – wenn die nicht so oft ausfallen würden, weil ihre Kinder krank sind.« Ich musste erstmal schlucken. Dass auch ein Vater zuhause bleiben könnte, wenn das Kind Fieber oder Windpocken hat, kommt in der Welt dieses Chefs nicht vor. Und umgekehrt bin ich in seinen Augen als Mutter keine voll ernstzunehmende Arbeitskraft. Puh.
Meine Nummer scheint die Notfallnummer der Familie zu sein, obwohl wir auch die Nummer des Vaters überall hinterlegt haben
In Wahrheit ist das keine überraschende Aussage. Sie traf mich dennoch, vielleicht weil mir das noch niemand auf diese Weise und ins Gesicht gesagt hatte. Natürlich gibt es Erklärungen für diese – meist unausgesprochene – Annahme: Viele Mütter kehren nach ihrer Elternzeit in Teilzeit zurück in den Job, während die Väter tendenziell eher voll arbeiten. Muss das Kind krank zuhause bleiben oder früher aus Kita oder Schule abgeholt werden, scheint es nahe zu liegen, dass die Mutter ihren ohnehin kürzeren Arbeitstag weiter verkürzt. Oder ganz ausfallen lässt.
Deshalb klingelt auch in der Regel erstmal bei mir das Handy, wenn irgendwas mit dem Kind ist. Meine Nummer scheint die Notfallnummer der Familie zu sein, obwohl wir auch die Nummer des Vaters überall hinterlegt haben. Denn die verbreitete Überzeugung ist: Ein krankes Kind braucht seine Mutter. Wahr ist: Es braucht eine Bezugsperson, die ihm neben Hustensaft und Zwieback vor allem Nähe und Geborgenheit geben kann (ausgenommen natürlich gestillte Säuglinge).
Es ist gut möglich, dass mein Gefühl der besonderen Verantwortung in solchen Situationen auch aus dieser traditionellen Annahme kommt. Dass ich mir auch deshalb einrede, nur ich könne das fiebernde Kind richtig im Arm halten und ihm Tee kochen, dass nur ich wüsste, wieviel Milligramm Paracetamol in einem Zäpfchen für Kinder bis 10 Kilo Körpergewicht stecken dürfen und wie man richtige Wadenwickel macht. Dieses Wissen ist mir mit der Geburt des Kindes aber nicht automatisch ins Gehirn geflossen, sondern ich habe es mir angeeignet, indem ich Packungsbeilagen studiert und in Büchern nachgelesen habe. All das könnte der Vater meiner Kinder also auch (und wahrscheinlich tut er das eh). Ein krankes Kind zu Pflegen ist keine Mama-Magie, auch wenn es sich manchmal so anfühlen mag.
Ich will so nicht den Satz des Mannes meiner Freundin zu relativieren, ich will nur seinen Ursprung besser verstehen. Steht er doch für ein großes Problem unserer Gesellschaft: Diejenigen, die neben ihrem Job viel unbezahlte Care-Arbeit übernehmen, sind für den Erwerbsarbeitsmarkt weniger attraktiv. Ganz gleich, wie sehr sie sich zerreißen, um beides nebeneinander zu schaffen. Mal abgesehen davon, dass es so auch kaum möglich ist, allen Ansprüchen gerecht zu werden, denen des Arbeitgebers, denen des Kindes, den eigenen. Und ich frage mich: Wie viele Frauen gibt es, die bis zum Umfallen arbeiten, und denen das ganz große Projekt oder die Teamleitung nicht zugetraut werden – weil sie Mütter sind?
Mir ist klar, dass ich auch mich selbst hinterfragen muss, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle. Mir ist klar, dass ich daran arbeiten muss, dem Vater aufrichtig zu vertrauen, dass er das gut hinbekommt mit dem kranken Kind zuhause. Dass er überhaupt alles gut hinbekommt mit den Kindern (denn das fällt vielen Müttern nicht immer ganz leicht). Im Gegenzug muss der Vater zeigen, dass er dieses Vertrauen verdient hat – indem er ungefragt und unbeauftragt dieselben Familienaufgaben übernimmt wie ich.
Wennn ich dann als Mutter ohne Bauchgrummeln und Handykontrollblick am Schreibtisch sitzen kann, während das Kind krank zuhause ist, dann sollte das irgendwann auch für den Arbeitgeber selbstverständlich sein (und auch keine unterbewusste Rolle bei der Bewertung meiner Arbeit spielen). Denn das andere, das der Mann meiner Freundin sagte, stimmt ja: Mütter vertrödeln in der Regel eher wenig Zeit. Das ist in ihrem System einfach nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Mütter sind Meisterinnen der Projektarbeit. Sie können das Kind wickeln, sich die Haare föhnen, den Frühstückstisch decken, verschwundene Socken finden und den Steuerbescheid überprüfen. Gleichzeitig.
Kürzlich hat sich mein Mann für einen Erste-Hilfe-Kurs für Säuglinge und Kleinkinder angemeldet. Ich vermute, dass er das meiste, das dort gezeigt wird, längst weiß. Aber es gibt uns allen ein gutes Gefühl.