Seit einiger Zeit gehen meine Kollegen nicht mehr mit mir Mittagessen. Statt zum Mittagessen wollen sie, und dabei formen sie ihre Lippen wie Trompetenengel, lieber zum »Lansch«, korrekt geschrieben: Lunch.
Wohin ich auch gehe, das Wort ist schon da. Sehe ich um die Mittagszeit eine Kreidetafel, lese ich dort: Lunch-Menü. Business-Lunch. Power-Lunch. Selbst beim kleinen, heimeligen Italiener, bei dem ich sonst der Dreifaltigkeit Caprese-Pasta-Espresso huldige, weist man mich neuerdings auf das »Lunch-Special« hin.
Neulich war ich ein paar Tage in meiner Heimat, einer süddeutschen Kleinstadt. Eine alte Freundin war gerade auch zu Besuch, wir beschlossen, uns zu treffen. »Gehen wir lunchen?«, schrieb sie. Ich starrte ein paar Sekunden auf den Bildschirm, direkt in die linguistische Vorhölle. Ist klar: Er luncht, sie luncht, wir lunchen. Nur ich möchte lieber mittagessen.
Laut Umfragen hat sich das Mittagessen der Deutschen in den letzten 25 Jahren kaum verändert. Verzehrt werden immer noch am liebsten Schnitzel, Pommes und Currywurst. Diese Konfrontation mit der eigenen Normalbürgerlichkeit tut vielleicht weh. Aber: Wer eine Currywurst »luncht«, macht sich was vor.
Ich lebe in Berlin, da kommt es schon mal vor, dass ich Sätze sage wie: »Could I have the Veggie-Platte, bitte?« Kulturen mischen sich und jede Sprache, die lebt, verändert sich. Unsere ist von anderen durchzogen wie ein gutes Stück Speck. Oder, pardon, ein nices Stück Bacon. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin froh, diesen Text an einem Laptop schreiben zu dürfen – und nicht an einem Klapprechner.
Es gibt Fälle, da ist Englisch nicht doof, sondern praktisch. Es ist griffiger und kürzer. Oder es gibt einfach keine gute deutsche Alternative. Im Geschäftlichen ist das häufig so, besonders weil sich Fachbegriffe wie »SWOT-Analyse« nur mit Kopfschmerzen eindeutschen lassen. Management, Meetings, Input, Feedback: Auch das geht leichter über die Lippen als Geschäftsführung, Geschäftstreffen, Rückmeldung. Klar bringt das auch einen Hauch Große-Weite-Welt-Flair ins Büro. Trotzdem halten sich Praktikabilität und Gepose die Waage.
Wer Lunch sagt, dem geht es nicht um Praktikabilität, sondern um das Gegenteil.
Beim Lunch ist das anders. Dafür gibt es ein schönes, schnelles, deutsches Wort: Mittag. Eine Silbe mehr. Vom Zeitaufwand okay. Genau so wie Mittagessen, oder einfach: Essen. Wer Lunch sagt, dem geht es nicht um Praktikabilität, sondern um das Gegenteil.
Oft soll der Anglizismus eine Mahlzeit vom Alltag abheben: der Brunch am Wochenende, das Dinner zum Geburtstag. Mittagessen aber ist Alltag, mehr als jede andere Mahlzeit. Ich denke nicht darüber nach, ob es bei mir zum Dinner heute Spaghetti Bolo gibt. Legitim wäre aber, auf die Frage »Was gab’s bei dir zum Lunch?« einfach mal »Mettbrötchen« zu antworten. Deswegen mag ich »Mittag«. Das suggeriert keinen Glamour, wo nur Systemgastronomie ist. Das Wort ist ehrlich. Lunch, das klingt nach vielen Flugmeilen, das macht wichtig. Aber ein Lunch in Bottrop ist, geografisch gesehen, immer noch ein Mittagessen.
Das ist und bleibt übrigens die Mahlzeit zwischen 12 und 14 Uhr, die meist während der Arbeitswoche stattfindet. Sie ist von Haus aus unglamourös. Es geht um Energiezufuhr, im rein praktischen Sinn. Wenig Zeit trifft auf viel Hunger. Das ist dann oft mehr Fressen als Essen. Wie die Schweine am Trog und hoffen, dass nichts daneben geht. Manchmal reicht es bei mir zum »Lunch« nur für eine Schüssel Cornflakes.
Denn der Anglizismus kann nicht zaubern. Er verwandelt Durchschnittsessen nicht in Kobe-Beef und den Italiener im Industriegebiet nicht in die Steakbar in Downtown Manhattan. Auch die Revolution der Arbeitswelt, die Angestellte zu coolen »Mad Men«-haften Seriencharakteren werden lässt, wird sich auf unbestimmte Zeit verzögern. Wer mehr Glamour in den Büroalltag bringen will, sollte vielleicht öfter mal was mit Pailletten tragen.
»Ask not what you can do for your country. Ask what’s for lunch.« Das Zitat ist von Orson Welles. Dieser Mann wusste: Im Mittagessen liegt der Schlüssel zur Glückseligkeit verborgen. Ich würde das umdrehen: »Fragen Sie nicht, was es zum Lunch gibt. Fragen Sie sich lieber, was Sie für ihr Land tun können!« Ich glaube, als alle Mittagessen sagten, war das Land noch ein glücklicherer Ort.
Alltag war Alltag und nicht Selbstdarstellung. Lunch macht mit der Sprache, was der Filter schon lange mit Handybildern macht: Er legt eine schönende Oberfläche über den Alltag. Wer Lunch sagt, kommt mit dieser Differenz nicht klar: wie man das Leben gerne hätte, und wie es eben ist. Der Knacks zwischen Wunsch und Realität hört sich in etwa so an, wie wenn man in eine prallgefüllte Bockwurst beißt.