Dollar

Alarmierende Schlagzeilen, ins Bodenlose fallende Chartkurven und Illustrationen von brennenden Dollarscheinen beherrschen die Wirtschaftsberichterstattung in diesem Herbst. Jede Woche von Neuem wird die »Talfahrt« analysiert, der »Niedergang« beschworen, das »Ende eines Zeitalters« (wahlweise auch des »Dollar-Jahrhunderts«) eingeleitet. Und es stimmt ja auch: Der Kurs des Dollars fällt und fällt, bald könnte die »magische Grenze« von 1,50 Euro erreicht sein. Verwirrend daran ist nur, dass sich in der Inszenierung des Dramas auch kleine Meldungen verstecken, die sagen: Eigentlich könnte uns das völlig wurscht sein. »Nur 13 Prozent der deutschen Exporte landen im Dollar-Raum« – diesen zarten Hinweis schmuggelt der Spiegel in seine ansonsten händeringende Titelgeschichte. Mal ehrlich: Was sind schon 13 Prozent? Eher nichts – das fanden auch 2000 Unternehmer, die sogleich vom Institut der Deutschen Wirtschaft befragt wurden. Vier von fünf gaben an, der schwache Dollar habe wenig bis gar keine Auswirkungen auf ihr Geschäft. Das Beispiel des Flugzeugbauers Airbus, das in keinem Schreckensszenario fehlen darf, ist demnach ein totaler Sonderfall.

Aber natürlich ist uns der Dollar nicht egal. Die schwarzgrünen Scheine in ihrer strengen Einheitsgröße, die unsere blinden Mitbürger in den Wahnsinn treibt, sind trotz ihres unspektakulären Aussehens mit tausend Bedeutungen aufgeladen. Zum Beispiel mit Wiedererkennbarkeit: Die riesigen Formate, wundervollen Gravuren und prunkvollen Siegel von Mini-Währungen sind, gemessen am Dollar, nichts anderes als Chiffren für Wertlosigkeit – ein bisschen schmutziges Grün auf die Hand, schon war (und ist) in den ferneren Gegenden der Welt ein Kauf getätigt, ein Problem gelöst. Im Aussehen des »Greenback« zeigt sich gerade nicht der Glamour des Reichtums – jeder Depp kann ein dickes Bündel mit Einer-Scheinen aus der Hosentasche ziehen –, sondern der Kapitalis-mus in seiner ganzen emotionslosen Durchschlagskraft. So wirkt es auch ganz folgerichtig, dass im neuesten »Gangsta«-Video des ameri-kanischen Hip-Hop inzwischen Koffer voller 500-Euro-Scheine auftauchen: Nur sie taugen noch dazu, maximalen Wert auf minimalem Raum zu symbolisieren – der Dollar verweigert sich dieser Aufgabe seit Langem. Als Präsident Nixon im Jahr 1969 den Druck aller Banknoten stoppte, die mehr als die Zahl 100 in der Ecke stehen hatten, tat er das explizit auch deshalb, um den Gangstern Amerikas das Geschäft zu erschweren.

Am Mythos des Dollars kratzen solche Nachrichten trotzdem – genauso wie die kühle Ansage des Models Gisele Bündchen, künftig nur noch Gagen in Euro anzunehmen. Hinter der schlichten Fassade des Dollars lauert auch eine Welt voll geheimer Machtspiele und wilder Verschwörungstheorien. So wird die Ankündigung Irans, sein Öl künftig in Euro handeln zu wollen, in einigen Internetforen bereits als Hauptgrund für einen neuen Krieg aufgeführt – auch Saddam stellte seinen Ölhandel seinerzeit auf die europäische Währung um. Zur selben Kategorie gehört die Legende, die sich seit Jahrzehnten um den Ein-Dollar-Schein rankt: Das Pyramidensymbol mit dem alles sehenden Auge auf der Rückseite dieser Banknote soll ein Zeichen des Geheimordens der »Illuminaten« und seiner heimlichen Beherrschung der Weltwirtschaft sein.

Meistgelesen diese Woche:

So weit muss man allerdings gar nicht gehen, um die spezifisch deutsche Faszination für dramatische Dollar-Geschichten zu erklären. Wir lauschen ihnen wie den Erzählungen vom wilden Onkel, der sich hemmungslos alle Wünsche erfüllt, das Sparen verachtet und trotzdem – der alte Teufelskerl – bisher allen Gläubigern entkommen ist. Zur widerwilligen Bewunderung gesellt sich der gar nicht so geheime Wunsch, er möge doch bitte schön mal richtig auf die Schnauze fallen. Auch wenn wir ihm dann mit dem eigenen Ersparten aushelfen müssen.