Vendetta

Die Italiener haben wieder einmal die schöneren Worte gefunden. »La Vendetta di Ferragosto«, die Blutrache von Mariä Himmelfahrt – das klingt viel besser als das »Massaker von Duisburg«, das sofort ein Bild aus Ruhrpott-Grau und Schimanski-Realismus zeichnet. Nicht nur die Bluttat selbst, die sechs Italiener, die im Kugelhagel vor der Pizzeria »Da Bruno« starben, waren ein Schock für das deutsche Ge-müt. Genauso schwer wog die archaische, um nicht zu sagen filmischtheatralische Dimension, die damit in unsere undramatische Gegenwart einbrach. Eine Pizzeria inmitten stahlgrauer Bahnhofsviertel-Architektur, mit Buchsbaum-Terrakotten vor dem Eingang, goldener Schrift an der Glastür und signier-tem Gottschalk-Grinsefoto an der Wand – sie könnte wirklich überall sein: eine Art Universal-Italiener, den es in jeder deutschen Stadt gibt, in dem auch wir schon manche Lasagne gegessen haben, und Gottschalk natürlich auch. Misslaunig serviert, wie wir jetzt ahnen, von niemand anderem als einem untergetauchten Mafiakiller.

Vendetta ist das italienische Wort für Blutrache. Die Familie der Strangio-Nirta hatte noch eine Rechnung zu begleichen mit dem Clan der Vottari-Pelle-Romeo, auch das wieder Namen, die man nicht besser hätte erfinden können. Die »Vendetta di Ferragosto« war nur die Antwort auf die »Vendetta di San Luca« von Weihnachten 2006, die wiederum nur eine Antwort auf irgendeinen anderen Mord war, im ewigen Hin und Her einer nunmehr 16 Jahre andauernden Familienfehde. So kennt man das aus dem Kino, so werden Imperien des Verbrechens gegründet und zerstört, so zelebriert die Mafia voller Hybris und Egomanie ihren eigenen Untergang. Denn so offensichtlich verstörend ein sechsfacher Mord auf offener Straße ist – unbewusst verknüpfen wir ihn doch mit unseren Kenntnissen aus Filmstoffen wie GoodFellas oder Der Pate, die mit dem großen Blutvergießen auch immer einen Ausnahmezustand verbinden: ein System, das gerade zusammenbricht, einen Clan-Chef, der wahnsinnig wird, einen Verrat, der die Grundlagen des kriminellen Geschäfts erschüttert. Wenn die Leichen einer Vendetta auf der Straße liegen, schreibt ihr Blut auch eine Botschaft für die Umwelt auf das Pflaster: Verbrechen, egal wie groß es dimensioniert sein mag, lohnt sich eben doch nicht.

So kommt es paradoxerweise dazu, dass eine Vendetta die Öffentlichkeit zwar einerseits aufrüttelt, andererseits aber auch beruhigt: Sie zeigt gerade das Nicht-Perfekte im System der Mafia, den Moment, in dem die absoluten Regeln von »Umilità« (Demut gegenüber den »Ehrenwerten« und der Bevölkerung), »Fedeltà« (Treue bis in den Tod) und »Politica« (striktes Gebot der Wahrheit innerhalb des Clans) offensichtlich gebrochen wurden. Die unerwünschte öffentliche Aufmerksamkeit, die ein spektakulärer Mord auf sich zieht, muss dabei in Kauf genommen werden, um ein Zeichen der Disziplinierung nach innen zu setzen. Das gefährlichste mafiöse System wäre demnach eines, in dem das Töten fast unbemerkt geschieht oder ganz unnötig wird, während eine Vendetta die Schwächen des Systems für alle sichtbar offenbart. Experten des organisierten Verbrechens se-hen es inzwischen als historischen Fehler der sizilianischen Cosa Nostra an, dass sie so weit ging, auch prominente Richter und Staatsanwälte umzubringen. Sie steht nun derart im Fokus der Öffentlichkeit und der Ermittler, dass ihre Organisation als geschwächt gilt.

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Für die kalabrische ’Ndrangheta, die für die Morde von Duisburg verantwortlich zeichnet, gilt das noch nicht. Ihre dezentrale Struktur und ihr lange Zeit wenig spektakuläres Erscheinungsbild haben sie zu einem fast unbekannten Giganten des internationalen Verbrechens werden lassen, mit einem geschätzten Umsatz von 35 Milliarden Euro pro Jahr und einem Einfluss im weltweiten Kokaingeschäft, der den kolumbianischen Drogenkartellen den Rang abläuft. Auch in Deutschland hat die ’Ndrangheta, wie Ermittler wissen, Milliarden investiert.

Die relative Ruhe in unseren Bahnhofsvierteln, die nun so dramatisch gestört wurde, erzählt also gerade nicht von mittelalterlichen Rächern, die sich nur ab und zu in den deutschen Rechtsstaat verirren – sondern von einer hochmodernen, gerade hierzulande gefährlich perfekten Operationsweise.