Das letzte Mahl könnte ein Festmahl sein – meist allerdings sieht es eher so aus.
Vor einigen Tagen wurde gemeldet, dass der Staat Texas, der die meisten Hinrichtungen in den USA durchführt, die Henkersmahlzeit abgeschafft hat. Ein Vertreter der Justizbehörde nannte diese Einrichtung »ein extrem unangemessenes Privileg«; die Delinquenten würden von nun an in den Stunden vor ihrem Tod genau das Gleiche zu essen bekommen wie alle anderen Gefangenen. Zur Illustration seiner Empörung verlas er die Bestellung des letzten Todeskandidaten in Huntsville: ein Pfund Grillfleisch, mehrere Steaks und Cheeseburger, Pizza, Käseomelett, Gemüse mit Ketchup, Weißbrot und zum Nachtisch einen halben Liter Eiscreme.
Diese Meldung erstaunt, und das keineswegs wegen ihrer Inhumanität oder juristischen Härte. Denn das Ritual der Henkersmahlzeit ist noch nie eine letzte Regung der Menschlichkeit gewesen, eine Maßnahme, die dem Todgeweihten für ein paar Stunden seine Würde und Selbstbestimmung zurückgeben soll. Eher das genaue Gegenteil. Die Maßlosigkeit und individuelle Zusammenstellung der Mahlzeiten spricht allen Aufgaben des Gefängnisses hohn, seinen Prinzipien der Disziplin und Nivellierung.
Es besteht kein Zweifel, dass die Institution den Häftling an der Schwelle zum Tod bereits aufgegeben hat; die Henkersmahlzeit richtet sich nicht mehr an den lebendigen Menschen. Aber an wen dann? Wer profitiert von ihr? Hans von Hentigs Buch über das jahrtausendealte Ritual der Henkersmahlzeit beantwortet diese Frage schon in den ersten Zeilen: »Unverbrüchlich halten die Völker an einer Maßnahme fest, die kein Gesetz vorschreibt, als ob sie ihnen mehr nütze als dem Delinquenten.«
Die Henkersmahlzeit war zu keiner Zeit ein Akt des Mitleids, kein »Privileg«, sondern eine Art Besänftigungsritual. Wie die umsorgten Menschenopfer in archaischen Gesellschaften soll der Todeskandidat vor der Exekution versöhnlich gestimmt werden, damit er nicht als Rachegeist wiederkehre. Wenn der texanische Senator nun die Henkersmahlzeit streicht, verletzt er genau diese alte Logik der Exekution. Die Maßnahme lässt zwei Überlegungen zu: Zum einen zeigt sie die Selbstgewissheit eines Staates, der sich seiner Sache derart sicher ist, dass er die Hinrichtungen nicht mehr durch einen milden Übergang einleiten muss. Auf eine verborgene, den Verantwortlichen noch nicht bewusste Weise aber könnte die Verfügung auch etwas anderes bedeuten, und zwar einen Schritt zur Wiederabschaffung der Todesstrafe in den USA. Denn wenn man derart sorglos mit dem erprobten Rahmen einer rituellen Handlung umgeht, wird man vielleicht auch den Ritus selbst infrage stellen.
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