»Wenn man keine Luft bekommt, kann man kein Kind zur Welt bringen«

Der Gynäkologe Sebastian Häusler half im März 2020 zum ersten Mal bei einer Geburt, bei der die Mutter mit einem damals noch wenig bekannten Virus infiziert war. Im Interview erzählt er, welche Schwierigkeiten bei einer Geburt unter Covid-19 auftreten können – und warum es keinen Sinn ergibt, Baby und erkrankte Mutter zu trennen.

Illustration: Lina Müller

SZ-Magazin: Herr Häusler, erzählen Sie von der ersten Geburt unter Covid-19, die Sie betreut haben.
Sebastian Häusler: Das war im Frühjahr 2020. Wir hatten in Regensburg einen der ersten Corona-Ausbrüche in einer deutschen Klinik, das war eine belastende Situation. Wir waren alle aufgeregt, die Krankheit war neu. Damals glaubten die meisten, dass das alles relativ schnell vorbei gehen würde. Zum Glück lief bei der Geburt alles glatt. Die Mutter hatte einen sehr milden Verlauf von Covid-19. Das Kind kam ohne Komplikationen zur Welt und der Mutter geht es heute sehr gut.

Was trieb die werdende Mutter vor der Geburt besonders um?
»Was ist mit dem Kind?« – das ist die Frage, die alle werdenden Mütter zuerst stellen. Die Daten, die wir bis jetzt erhoben haben, besagen zwar, dass sich Neugeborene relativ häufig bei der Mutter mit dem Virus anstecken. Doch die Verläufe sind bei Kindern in der Regel sehr milde, da besteht kaum Gefahr. Eine weitere große Angst ist, dass infizierte Frauen ihre Kinder nach der Geburt nicht in den Arm nehmen können. Diese Angst können wir schnell nehmen: Es bringt nichts, Mütter nach der Geburt von ihren Kindern zu trennen. Wenn die Kinder das Virus abbekommen, dann passiert das bereits im Mutterleib oder unmittelbar nach der Geburt.

Wie viele Geburten unter Coronainfektion haben Sie bislang betreut?
Bisher waren es knapp 25 Frauen, die zur Geburt positiv waren. Wie viele schwangere Frauen mit Covid-19 wir insgesamt im Krankenhaus hatten, weiß ich gar nicht mehr.

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Wie läuft eine Geburt unter Coronainfektion ab?
Die Frau kommt in einen separaten Corona-Bereich im Kreißsaal. Sie hat eine Maske auf, wir tragen Schutzanzüge, Visiere und Masken. Die Hebamme macht ganz normal ihre Voruntersuchung. Es gab in der Bevölkerung die Befürchtung, dass Frauen während der Geburt unter einer Maskenpflicht stehen. Bei uns in der Klinik ist das nicht so. Wenn eine Mutter bei der Geburt die Maske herunternehmen will, dann darf sie das. Auch wenn eine Frau hochgradig infektiös ist. Sie muss frei atmen können unter den Wehen, anders ist eine Geburt häufig nicht machbar.

Das medizinische Personal ist also einem Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Hatten Sie vor Ihrer ersten Geburt mit Corona Angst um sich oder Ihr Personal?
Angst ist das falsche Wort, das ist ja mein Beruf. Lassen Sie mich es so sagen: Ich hatte sehr große Sorgen am Anfang der Pandemie. Wir mussten befürchten, dass wir Probleme bekommen, den Klinikbetrieb aufrecht zu erhalten. Wenn sich Mitarbeiter angesteckt hätten, dann wäre es schwer geworden. Wir konnten gar nicht an Langzeitfolgen oder schwerere Verläufe denken, weil wir so mit der Masse an kranken Menschen beschäftigt waren. Aber alles ging gut. Bis heute hat sich bei uns niemand nachweislich während einer Geburt angesteckt. Eine Ausbruchssituation wie im Frühjahr hatten wir hier nicht mehr. Das zeigt, wie wichtig das strenge Einhalten der Hygieneregeln ist.

»Wir wollen nicht dafür verantwortlich sein, so einen Schaden in jungen Familien zu hinterlassen«

Wo liegt die größte Gefahr bei einer Geburt mit Covid-19?
In der Beeinträchtigung der Lunge. Wenn man keine Luft bekommt, kann man kein Kind zur Welt bringen. Und wenn die Mutter vor der Geburt unter Sauerstoffmangel leidet, dann leidet auch das Kind. Aber wir sind auf so etwas vorbereitet, sobald die Sättigung sinkt, bekommt die Mutter Sauerstoff über einen Schlauch zugeführt. Es ist bei Geburten unter Coronainfektion bislang nicht zu Komplikationen gekommen, auch nicht bei Müttern mit schweren Verläufen. Aber natürlich ist die körperliche Belastung dann enorm. Frauen sind unter der Geburt selten krank, weil der Körper sich für diese Höchstleistung bestmöglich wappnet. Doch es ist erstaunlich, welche Kräfte eine Frau in dieser Situation mobilisieren kann, und das gilt auch für eine Geburt mit einer Covid-Erkrankung.

Laut einer Studie wurden fünf Prozent der an Covid-19 erkrankten Schwangeren intensivmedizinisch behandelt. Sie hatten das, was man umgangssprachlich einen schweren Verlauf nennt.
Schwere Verläufe sind unter Schwangeren zum Glück nicht so häufig. Trotzdem ist diese Krankheit gefährlich. Schwangere Frauen sind ohnehin schon großen körperlichen Belastungen ausgesetzt.

Aber impfen lassen sollten sich Schwangere nicht gegen das Virus, richtig?
Das Problem ist, dass es keine belastbaren Daten für die Anwendung der Impfstoffe bei Schwangeren gibt. Keiner weiß wirklich, wie sich die Impfung auf die Schwangere oder das Kind auswirkt und ob sie überhaupt den gleichen Impfschutz bietet wie für Nicht-Schwangere. Wenn bei einer Schwangeren aufgrund von Vorerkrankungen aber ein besonders hohes Risiko für schwere Covid-19-Verläufe besteht, könnte man nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung im Einzelfall schon eine Impfung erwägen. Man müsste aber sowieso eher anders herum argumentieren. Gerade das Umfeld einer Schwangeren sollte sich impfen lassen, um eine Ansteckung möglichst unwahrscheinlich werden zu lassen.

Im Frühjahr 2020 gab es in einigen Krankenhäusern in Deutschland wegen der Pandemie ein Kreißsaalverbot für Väter. Wie schätzen Sie das ein?
Wir haben nach langen Überlegungen Väter in unseren Kreißsälen erlaubt. Uns allen in der Geburtshilfe ist klar, dass eine Geburt eines der intensivsten Erlebnisse ist, das man als junge Familie hat. Wenn wir das auseinanderreißen, kann das für eine Beziehung schwere Folgen haben. Das mag sich sehr gefühlsgeleitet anhören, aber wir wollen nicht dafür verantwortlich sein, so einen Schaden in jungen Familien zu hinterlassen. Wenn Struktur, Vorbereitung und Ressourcen ausreichend sind, dann ist es auch unter Coronainfektion möglich, eine ganz normale Geburt zu erleben.

Sie arbeiten seit über 15 Jahren in der Geburtshilfe. Wie hat Corona Ihren Job verändert?
Mir fehlt der persönliche Kontakt zu den Patientinnen und ihren Angehörigen. Es ist sehr schwierig, Aufklärungsgespräche über eines der prägendsten Ereignisse im Leben mit einer Maske vor dem Gesicht zu führen. Ich freue mich, wenn man sich wieder gegenübersitzen und anlachen kann. Das ist viel schöner, als anhand der Fältchen um die Augen zu erkennen, wie sehr sich jemand gerade freut.