»Ich habe schon Rosen und Pfeifenreiniger aus Harnröhren gezogen«

Volker Wittkamp ist Urologe und Autor. Der Fall seines Lebens: ein junger Mann, der sich eine Zahnbürste in den Penis implantiert hat.

Ein Stück Zahnbürste im Penis – das sehen auch Urologen nicht jeden Tag.

Illustration: Lina Müller

SZ-Magazin: Was ist der geläufigste Irrglaube über Urologen?
Volker Wittkamp (36): Viele Menschen denken, Urologen seien reine Männerärzte, die nur alte Rentner mit Prostatabeschwerden behandeln. Dabei ist die Urologie vielfältig. Es ist alles dabei von Nierenkoliken und Dauererektionen über chirurgische Eingriffe bis hin zu Schwierigkeiten beim Wasserlassen oder Tumoren. Auch Frauen haben Probleme wie Nierensteine oder Blasenbeschwerden, die wir in der Urologie behandeln.

Welchen Patienten werden Sie nie vergessen?
Das war ein junger Mann, der an einem Samstag ins Krankenhaus kam. Ich war zu der Zeit noch Assistenzarzt in der Urologie. Er war locker gekleidet und wirkte, anders als viele Patienten mit urologischen Beschwerden, relativ entspannt. Immer wieder versuchen Menschen, die offensichtlich Sex-Unfälle hatten, den Hergang ihrer Symptome zu vertuschen. Er war in der Beschreibung seiner Symptome aber sehr ehrlich.

Weswegen war er zu Ihnen gekommen?
Der Mann klagte über eine Entzündung im Intimbereich. Er machte sich frei und zeigte mir eine verdickte, gerötete Stelle am Penisschaft – sozusagen oben drauf. Das ist zunächst weder außergewöhnlich noch schlimm. Beim Abtasten bemerkte ich allerdings, dass die Stelle ungewöhnlich hart war. Er sagte, dass er diese Beschwerden seit etwa drei Wochen hatte, dass aber zunächst alles »gut verheilt« sei. Auf meine Frage, was er damit meine, erzählte er mir, dass er ein Stück Zahnbürste in seinen Penis implantiert hatte.

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Weshalb hatte er das getan?
Er hatte einen Gefängnisaufenthalt hinter sich und wollte seine Partnerin bei ihrem Wiedersehen nach seiner Entlassung überraschen. Im Gefängnis hatte er von anderen Insassen erfahren, dass man sich Gegenstände unter die Haut implantieren kann, um seine Partnerin beim Geschlechtsverkehr besser stimulieren zu können. Da man im Gefängnis nicht viel Material zu Verfügung hat, beschloss er, sich ein Stück Zahnbürste zu implantieren. Er brach daraufhin ein etwa eineinhalb Zentimeter langes Stück seiner Zahnbürste ab und schliff es so lange an Beton, bis die Kanten abgerundet waren. Dann implantierte er es, indem er sich die oberste Hautschicht seines Penis aufschlitzte und das Objekt einnähte. Ihm war im Vorhinein von anderen Insassen geraten worden, das Stück Zahnbürste 24 Stunden im Mund zu behalten. Sie sagten, damit würde sich der Körper schon mal an das Objekt gewöhnen und die Infektionsgefahr sei geringer. Das ist natürlich ein Irrglaube.

Was dachten Sie, als Sie das gehört haben?
Es ist eine Mischung aus vielen Gedanken. Ich habe innerlich geschmunzelt und war gleichzeitig fasziniert, denn ich hatte so etwas noch nie gesehen. Ich wurde natürlich neugierig und fragte, ob er das Instrument bereits ausprobiert habe. Er bejahte und sagte, es funktioniere wunderbar.

Ist dieser Fall außergewöhnlich?
Ja. Es gibt immer wieder kuriose Fälle. Manche Menschen spritzen sich etwa Paraffin in den Penis, um eine größere Erektion zu haben. Andere schieben sich Alltagsgegenstände in die Harnröhre, um sich zu befriedigen. Ich habe schon Rosen und Pfeifenreiniger aus Harnröhren gezogen. Aber so etwas hatte ich noch nie gehört.

Wie haben Sie den Mann behandelt?
Da es sich nicht um einen Abszess handelte, riet ich ihm zu einer Entfernung des Fremdkörpers. Es hätte sich um einen kleinen Eingriff mit einer lokalen Betäubung gehandelt. Das Ganze wäre vermutlich schnell wieder gut gewesen. Doch der Patient wollte nicht, dass der Zahnbürstenkopf entfernt wird. Also haben wir ihn nicht entfernt.

Einfach so?
Ich kann Patienten zu nichts zwingen. Natürlich habe ich ihm die Konsequenzen dargelegt und erklärt, dass er im schlimmsten Fall seinen gesamten Penis verlieren könnte oder dass die Infektion sich im Körper ausweiten und so zu einer Blutvergiftung führen könnte. All das schien ihn nicht zu überzeugen. Da er nicht umzustimmen war, habe ich ihm ein Antibiotikum mitgegeben. Wenn man als Arzt merkt, dass ein Patient sich nicht überzeugen lässt, ist es manchmal zielführender, dem Menschen die zweitbeste Option anzubieten. Bevor er gegangen ist, hat er natürlich unterschrieben, dass er gegen ärztlichen Rat die Klinik verlässt.

Wissen Sie, wie es ihm heute geht?
Nein. Ich schätze, dass die Entzündung mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 60 Prozent durch das Antibiotikum zurückgegangen ist. Es kann also durchaus sein, dass der Mann noch heute eine Zahnbürste in seinem Penis hat und sich und seiner Partnerin weiterhin damit Freude beschert. Immerhin hat mir noch kein Kollege aus der Urologie berichtet, er hätte einem Patienten chirurgisch ein Stück Zahnbürste aus dem Penis entfernt.