14 Stopps auf 50 Kilometern

In Deutschland sind überwiegend Züge unterwegs, die sich »Express« nennen. Geht es dadurch wirklich schneller voran? Oder ist auch ein bisschen Etikettenschwindel dabei?

Seit ein paar Wochen geht mir ein Satz von Bahnchef Lutz nicht mehr aus dem Kopf. In einem Interview wurde er darauf angesprochen, dass das aktuelle Jahresziel Ziel von 150 Millionen Fahrgästen nicht sonderlich ambitioniert sei. Genauer gesagt argumentierten die Kollegen, dass es, als es den Interregio noch gab (2006 wurde der letzte eingestellt), mehr Bahn-Passagiere gegeben habe. Lutz antwortete: »Sie vergleichen Äpfel mit Birnen.« Seitdem frage ich mich, was er damit gemeint haben könnte. Ich denke an die Interregio-Züge, die diese gelblich-grünen Sitze hatten – in Lutz’ Bild wahrscheinlich die Birnen. ICE und IC mit dem roten Streifen auf dem Waggon müssen dann wohl die Äpfel sein. Aber warum man die Zugtypen nicht vergleichen könne, wie vom Äpfel-Birnen-Sprichwort nahegelegt, verstehe ich nicht.

Neulich wollte ich zum Beispiel von Frankfurt nach Marburg reisen. Bis vor einem Jahr waren auf dieser Strecke nur Intercity im Fernverkehr der Deutschen Bahn unterwegs. Als ich noch studierte, fuhr dagegen hier der Interregio. Jetzt sehe ich, dass es sogar eine Intercity-Express-Verbindung gibt. Toll, denke ich, da tut sich ja wirklich was. Bis ich beim Blick auf die Fahrzeit bemerke, dass der ICE die Strecke heute in exakt der gleichen Zeit bewältigt wie schon vor 25 Jahren Regional Express und Interregio. Soll man die Zugarten vielleicht nicht vergleichen, damit einem so etwas nicht auffällt?

Diese ICE-Verbindung ist ein Beispiel für den Etikettenschwindel im deutschen Schienennetz

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Trotzdem toll für Marburg, denke ich – bis mir auffällt, dass der ICE von Karlsruhe mit Halt unter anderem in Wiesloch-Walldorf und Bensheim bis nach Kassel fährt, das ist exakt die Strecke, auf der einst der Interregio unterwegs war. Das einzig positive, was von der Umstellung bleibt, sind also die bequemeren ICE-Züge. Diese ICE-Verbindung ist ein Beispiel für den Etikettenschwindel im deutschen Schienennetz. Mit tollen Bezeichnungen wird etwas suggeriert, was nicht den Tatsachen entspricht, meistens eben Schnelligkeit – es gibt kaum noch Züge ohne den Zusatz »Express«. So wurden eingestellte Interregiolinien in Süd- und Ostdeutschland einfach in Interregio-Express umbenannt.

Zur Erinnerung: »Als Expresszug oder kurz Express bezeichnet man in der Regel Reisezüge mit hoher Geschwindigkeit [...]«, sagt Wikipedia. Demgegenüber ein Beispiel aus der Bahn-Realität: Der »Mittelhessen-Express« hält zwischen Friedberg und Marburg 14-mal auf etwa 50 Kilometern, durchschnittlich alle drei Minuten. Da kann man sich fragen, ob nicht das eigene Fahrrad der schnellere Express wäre.

Die Deutsche Bahn ist aber nicht allein mit übertriebenen Zugbezeichnungen, die privaten Betreiber sind da ähnlich. So verbindet der »National Express« nicht die großen deutschen Metropolen miteinander, sondern etwa Dinslaken mit Empel-Rees am Niederrhein. Des Rätsels Lösung: Betreiber ist die britische »National Express Group«.

Am kuriosesten treibt es allerdings das Bahnunternehmen»Vlexx«, das mehrere Strecken in Rheinland-Pfalz, Hessen und dem Saarland betreibt. Regelmäßig heißt eine Zugbegleiterin die Fahrgäste im Regionalexpress von Frankfurt nach Saarbrücken mit den Worten willkommen: »Wir begrüßen Sie im Vier-Länder-Express«. Damit sorgt sie jedesmal für Staunen bei den Fahrgästen, denn man kommt partout nur auf drei Bundesländer, die der Zug durchfährt. Neulich habe ich die Zugbegleiterin nach den vier Ländern gefragt. Sie reagierte gereizt. »Wir fahren unsere Fahrgäste im Sommer auch nach Frankreich«. Nur war das schon im Herbst, und als ich auf der Vlexx-Webseite nachschaute, sah ich, dass der Regional-Express aus Frankfurt nie bis Frankreich fährt. Aber vielleicht nehme ich nächstes Jahr zwischen Mai und Oktober mal den »Elsass-Express« – so heißt der Zug, der wirklich bis nach Frankreich fährt und zwar ab Mainz. Er wird direkt als Ausflugszug mit »zahlreichen Halten« beworben, da weiß man wenigstens, was man zu erwarten hat – eine Express-Reise mit durchschnittlich 40 Kilometern pro Stunde.