Reine Fahrzeit?

Überraschender Nebeneffekt der Corona-Furcht: Die Reisenden interessieren sich mehr für Hygiene im Zug. Wie kann man nun noch die Bahn dazu bekommen, die Seifenspender zu füllen und leere Piccolos wegzuräumen?

Illustration: Nishant Choksi

Ich erinnere mich noch gut an eine Unterhaltung mit einem HIV-positiven Fotografen vor einigen Jahren. Als er auf die Zustände in Zügen und im Nahverkehr zu sprechen kam, wurde er richtig wütend: »Die Leute niesen und husten ungeniert in der Gegend herum, ohne sich irgendetwas vor Mund und Nase zu halten – das macht mich aggressiv, denn für mich ist das lebensgefährlich«. Ja, auch schon vor Corona war es nicht toll, seine Viren und Bakterien in der Öffentlichkeit zu verteilen. Denn für Menschen mit schweren Vorerkrankungen kann eine Grippe oder schon eine Erkältung ausgesprochen bedrohlich sein. Und auch wenn nicht gleich das Leben davon abhängt: Anderen droht Verdienstausfall oder sie verpassen vielleicht das Konzert des Jahres, weil sie sich in der Bahn mit irgendetwas infiziert haben. Kurzum: Es gibt keinen Grund, die Öffentlichkeit mit den eigenen Keimen zu belästigen.

Jetzt endlich, durch die Corona-Panik, passen die Menschen besser auf. Ich sah in der U-Bahn eine Frau in ihre Ellenbeuge niesen – die einzig richtige Art, Erreger-haltige Tröpfchen abzufangen, wenn man nicht schnell genug mit dem Taschentuch ist. Denn mit der Ellenbeuge berührt man in der Regel nichts und kann damit die Keime auch nicht weiter verbreiten. Ich sah einen jungen Mann am Hauptbahnhof, der seinen Mitreisenden Desinfektionsmittel auf die Hände träufelte, nachdem sie auf dem Fahrkarten-Automat herumgedrückt hatten. Ich hörte Fahrgäste im Zug sagen: »Ich muss mir wirklich mal die Hände waschen gehen.«

Ich erlebe häufig, dass aus dem Seifenspender eine wässerige Brühe kommt, die nicht mehr als Seife durchgehen kann und wohl zumindest eine eingeschränkte Wirkung gegen Viren und Bakterien haben dürfte

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Das ist prima, nur leider ist gerade das nicht immer möglich: Ich erlebe häufig, dass aus dem Seifenspender eine wässerige Brühe kommt, die nicht mehr als Seife durchgehen kann und wohl zumindest eine eingeschränkte Wirkung gegen Viren und Bakterien haben dürfte. Liebe Bahnmitarbeiter, Seife wir keineswegs wirksamer, wenn man sie verdünnt! Noch schlimmer ist es natürlich, wenn aus dem Spender überhaupt nichts kommt – auch das passiert leider häufig. Das ist besonders perfide, denn jeder, der es nötig hat, die Hände zu waschen, berührt den Seifenspender – und kann die zusätzlich aufgegabelten Viren und Bakterien nun nicht mehr los werden, weil keine Seife vorhanden ist. Leere Seifenspender sind deshalb für mich schon fast Körperverletzung.

Die Bahn teilt dazu mit: »Die Spender werden täglich kontrolliert und vor der Bereitstellung des Zuges aufgefüllt.« Gewisse Nachlässigkeiten diesbezüglich sind aber anscheinend bekannt, denn weiter heißt es in der Antwort der Sprecherin: »Wir weisen das Instandhaltungs- und Reinigungspersonal zurzeit nochmals an, auf die Vollständigkeit und das Auffüllen der Seifen- und Desinfektionsmittelspender in den Toiletten besonders zu achten.«

Man kann natürlich nicht erwarten, dass Züge klinisch rein sind. Neulich fuhr ich aber etwa vier Stunden in Begleitung von fünf leeren Flaschen Weizenbier, drei ausgetrunkenen Piccolos, einer leeren Weinflasche und einem leeren Päckchen Raffaello – all das stand auf einem Tisch im ICE, weil rücksichtslose Fahrgäste ihren Müll einfach hatten stehen lassen und sich auch vom Personal keiner erbarmte. Wenn schon derart sichtbarer Dreck nicht beseitigt wird, darf man befürchten, dass es um die unsichbaren Keime um einiges schlimmer steht.

Dazu nochmal die Bahn: »Die Deutsche Bahn reinigt ihre Züge vor, während und nach der Fahrt. Im Fernverkehr gibt es im Wesentlichen zwei Säulen der Fahrzeuginnenreinigung: Die mobile Reinigung unterwegs und die stationäre Reinigung in den Werken und an den Bahnhöfen.« Unterwegs sammeln Mitarbeiter – das erlebt man als Fahrgast häufig – Abfall ein und reinigen laut DB die Toiletten. Gestern teilte ein Bahnsprecher mit, dass die mobile Reinigung neu statt alle vier nun alle zwei Stunden stattfinden solle. »Dazu werden in den kommenden Wochen zusätzliche Mitarbeiter eingestellt.«

Die zweite Säule, die stationäre Reinigung, finde in drei Stufen statt, teilt die DB mit. Einfache Reinigungs- und Aufräumarbeiten würden bei der Wende des Zuges erledigt. Zweitens gebe es eine Tagesreinigung, bei der Mitarbeiter sämtliche Kontaktflächen und Teppichböden reinigten. Drittens gebe es alle fünf Wochen eine Grundsäuberung inklusive Glasreinigung und Tausch der Kopfpolsterbezüge. Klingt alles ziemlich gut und strukturiert. Nur sieht jeder Bahnreisende häufiger Zustände, die den Schluss zulassen, dass das eine oder andere davon wohl manchmal ausfällt.

Aber da die Erreger-freie Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln ohnehin einen Illusion ist, minmiert man die Chance sich zu infizieren am besten, in dem man möglichst wenig berührt, sich nicht ins Gesicht fasst. Ich wische den Tisch vor mir etwa mit einem Desinfektionstuch oder Seifenlösung ab. Ansonsten wasche ich möglichst oft die Hände, meide die Umgebung von Menschen mit offensichtlichen Erkältungssymptomen – und hoffe, dass mein Immunsystem mit dem Rest fertig wird. Bis jetzt mit Erfolg.