Manchmal hadere ich mit meinem Schicksal. Warum kann diese Frage nicht eine junge Mutter stellen, die mir erklärt, dass sie auf dem Weg zum Kinderarzt jedes Mal den schweren Kinderwagen mühsam einen Umweg erst nach unten und dann wieder nach oben schieben muss? Wie schnell könnte ich ihr jegliche Erleichterung zubilligen! Aber nein, es fragt ein junger, offensichtlich gesunder Mann, der seiner Freizeitbeschäftigung nachgeht. Und schon stehe ich vor einem Haufen von Problemen. Zum Beispiel: Welches Gewicht hat eine zusätzliche, nicht unbedingt nötige Beschwerlichkeit beim Joggen? Bei einer Beschäftigung, welche entsprechend ihrer Natur, a priori würde Kant sagen, in erster Linie den Sinn hat, (zu Ertüchtigungszwecken) eine zusätzliche Beschwerlichkeit zu schaffen. Eine Laufrunde führt ohne Stopp von der Haustüre wieder dahin zurück, die gesamte Strecke stellt also per definitionem nichts anderes dar als einen einzigen Umweg. Fällt da ein bisschen mehr überhaupt ins Abwägungsgewicht?Andererseits die Bewertung einer Unterführung: Handelt es sich dabei wirklich um eine Erleichterung für Fußgänger? Oder um eine Einrichtung, welche die Menschen in einen dunklen, muffig riechenden Tunnel verbannt, damit die Autos ungestört bei schönster Aussicht über die Brücke gleiten können? Spräche Letzteres nicht sehr gegen einen moralischen Benutzungszwang? Wie nun entscheiden? Konfuzius soll einmal gefragt worden sein, ob es ein Wort gibt, das ein ganzes Leben lang als Richtschnur des Handelns dienen kann. Seine Antwort lautete: »Gegenseitige Rücksichtnahme.« Das gilt in beide Richtungen. Wenn Sie über die Brücke traben, sind die Autofahrer gefordert, ohne Murren stehen zu bleiben und Sie passieren zu lassen. Gibt es eine Unterführung, spricht umgekehrt viel dafür, sie auch zu benutzen.
Die Gewissensfrage
»Beim Joggen an der Isar kann ich die Straße über die Thalkirchner Brücke auf einem Zebrastreifen überqueren oder unter der Brücke hindurchlaufen. Der Weg durch die Unterführung ist etwas beschwerlicher, weshalb ich meist auf ebener Strecke darüber laufe und die Autofahrer abbremsen müssen. Das stresst sie und der Spritverbrauch wird erhöht. Kann ich ruhigen Gewissens den Zebrastreifen benutzen, was ja mein Recht ist, oder ist es meine Pflicht, die Nerven der Autofahrer, deren Geldbeutel und die Umwelt zu schonen?«
SIMON K., MÜNCHEN