Den Obdachlosenzeitungen liegt eine schöne Idee zugrunde: Nicht Menschen einen Vorwand fürs Spendensammeln zu liefern, sondern ein auf Leistung und Gegenleistung basierendes Geschäftsmodell, das den dafür Tätigen echte Erwerbsarbeit verschaffen soll – auch wenn der Hilfsaspekt oft die Kaufentscheidung trägt. Stellen Sie Ihre Frage den Verkäufern, so erhalten Sie unterschiedliche Antworten. Verbürgt ist das Zurückweisen von geschenktem Geld mit den Worten: »Ich bin doch kein Bettler!« Andere freuen sich über jeden Euro zusätzlich, auch wenn’s dem Geist zuwiderläuft. Die Biss-Zentrale weist darauf hin, dass vom Verkaufspreis 80 Cent an den Verkäufer gehen und 70 Cent an den Verein, der das Projekt trägt. Erst diese 70 Cent eröffnen den Abgebern überhaupt ihre Einkunftsmöglichkeit; eine Spende ohne Zeitung entzieht das Geld dem Projekt und damit auch dessen sonstigen sozialen Engagements für die Obdachlosen. Der dort geäußerte Rat, eine zusätzliche Zeitschrift zu kaufen und zu verschenken, klingt gut, geht mir aber als Empfehlung zu weit; bürdet er Ihnen doch die Last auf, einen Abnehmer für die gekaufte Lektüre zu finden: die eigentliche Aufgabe des Verkäufers, für die er zu Recht sein Geld erhält. Überspitzt ausgedrückt nehmen Sie ihm seine Arbeit, wenn schon nicht weg, so doch ab. Was folgt aus all dem? Es klingt hart, sich gegen eine Gabe für einen Bedürftigen auszusprechen, aber es läuft dem Konzept der Aktion zuwider, dem Verkäufer einfach so Geld in die Hand zu drücken. Ich sehe auch keine moralische Pflicht, mehr als ein Exemplar von jeder Ausgabe zu erstehen, will Sie aber nicht davon abhalten. Dann bleiben Ihnen Verschenken, Liegenlassen im Lokal, am Ende das Altpapier. Alternativen wären ein größeres Trinkgeld beim ersten Kauf, das dem zweiten Anbieter allerdings nur statistisch oder zufällig in einem der nächsten Monate zugute kommt; daneben eine offizielle Spende. Kontonummern finden sich vielerorts, zum Beispiel im gekauften Blatt.
Die Gewissensfrage
»Wenn ich einen Verkäufer der Obdachlosen-Zeitschrift ›Biss‹ sehe, kaufe ich ein Exemplar. Oft begegne ich darauf einem weiteren Verkäufer, dem ich sagen muss, dass ich bereits eine Ausgabe habe – wovon derjenige allerdings nichts hat. Also erwerbe ich manchmal noch eine Zeitschrift, die ich dann im Altpapier entsorgen. Wäre es besser, dem zweiten Verkäufer die 1,50 Euro einfach so zu geben?«
ULLA H., MÜNCHEN