In Platons Der Staat antwortet Sokrates auf die Frage des Glaukon nach dem Wesen der Gerechtigkeit: »Meines Erachtens gehört sie zu dem Schönsten, nämlich zu dem, was sowohl um seiner selbst willen wie wegen der daraus entspringenden Folgen von jedem geliebt werden muss, der glücklich werden will.« Beantwortet das auch Ihre Frage? Nur scheinbar, denn diese leidet an einem Fehler, welcher sie unbeantwortbar macht: Sie behauptet einen Gegensatz – Gerechtigkeit versus Nachsicht –, den es so nicht gibt. Der Philosoph Robert Spaemann betont, dass zur Gerechtigkeit neben der arithmetischen, also zahlenmäßigen Gleichheit (zwei Euro pro Kopf) und der Honorierung nach Leistung noch etwas gehört: die Verteilung gemäß den Bedürfnissen der Menschen, dass dem geholfen werden muss, der sich nicht selbst helfen kann. Dieses Prinzip sei, so Spaemann, durch das Christentum in die Welt gekommen. Damit wären wir mitten im Pfarrfest. Wie viele Kinder kommen dort hin? Fünfzig? Gar hundert? Der Mützenverkauf erbringt also vielleicht 200 Euro. Sind die unverzichtbar? Und wenn ja: Sie schreiben, dass in Ihrer Pfarrei ein Wohlstandsgefälle bekannt ist, also auch ein wichtiges Thema darstellen sollte. Findet sich da niemand, seien es die Gemeinde, Sponsoren oder Privatpersonen, die bereit wären, diesen Betrag wenigstens teilweise zu übernehmen und so das Problem zu entschärfen? Hier sollen doch weder Gewinne gemacht noch Prinzipien hochgehalten werden, sondern man will sich schlicht amüsieren und die Gemeinschaft erleben. Und dazu gehört meines Erachtens auch, dass man derart vorhersehbare Fragen aufgreift, vor allem, wenn sie christliche Werte tangieren. Am besten, indem man sie – gerade auch bei den Kindern – thematisiert oder eben im Vorfeld löst. Versäumt man beides, helfen auch scharfsinnige ethische Überlegungen nicht weiter.
Die Gewissensfrage
»Beim Pfarrfest in unserer Kirchengemeinde zahlen die Kinder für Attraktionen, indem sie sich Kappen für zwei Euro kaufen. Wer eine trägt, darf überall mitmachen. In unserem Viertel ist der Reichtum ungleich verteilt. Die Kinder aus den »guten« Straßenzügen kaufen die Kappen, jene aus den sozialen Brennpunkten oft nicht. Am Karussell ließ ich zunächst die »Problem«-Kinder ohne Kappe fahren, weil sie ja definitiv ärmer sind. Das ging nicht lang gut: Die Kinder mit Kappe kamen sich ungerecht behandelt vor. Nun frage ich mich: Welcher Wert wiegt höher? Die Gerechtigkeit oder die Nachsicht gegenüber den wirtschaftlich Schwächeren?« CHRISTA R., BERLIN