Ihre Frage ist leider eine der Art, die schon aus der zeitlichen Konstellation heraus schwer zu beantworten ist. Naturgemäß bleibt zwischen dem »Junggesellinnenabend« und der Trauung so wenig Zeit, dass ein gestaltendes Eingreifen allenfalls mit einer Einrichtung wie einem Ethik-SMS-Tag-und-Nacht-Service möglich wäre. Jetzt, nach dem Tätigwerden des Standesbeamten, ist alles geregelt, so dass allein noch ein »hätte, wäre, usw.« bleibt – und das ist immer unbefriedigend. Warum ich auf das Standesamt abstelle? Nun, das Hauptproblem sehe ich nicht darin, ob Sie am Abend hätten einschreiten sollen, sondern ob es richtig war, am folgenden Tag die Ehe zu bezeugen. Schon was die Braut da veranstaltet hat, finde ich nicht wirklich in Ordnung. Natürlich ist sie formaljuristisch im Recht, weil das eheliche Versprechen noch nicht geleistet und sie damit »frei« ist. Schließlich ist das ja auch der Grund der entsprechenden Abende. Aber die sind doch wohl eher symbolisch gemeint. Und überdies bin ich kein wirklicher Freund einer Stichtagsregelung, wenn es um Zuneigung und Treue geht. Mehr noch aber stört mich ein anderer Aspekt: Halten Sie mich für einen Romantiker – aber wer am Vorabend seiner Hochzeit den Drang hat, mit einem Dritten rumzumachen, sollte vielleicht sein Vorhaben für den nächsten Tag noch einmal überdenken. Hätten Sie etwas unternehmen sollen? Wie gesagt, vielleicht am nächsten Tag. Am Abend selbst wäre kaum etwas auszurichten gewesen. Denn was wollen Sie gegen fehlgeleitete Gefühle schon unternehmen!
Die Gewissensfrage
»Eine Freundin von mir hat vor kurzem geheiratet und mich als Trauzeugin gewählt. Kurz vor der Hochzeit haben wir einen ›Junggesellinnenabend‹ veranstaltet. Meine Freundin hat den ganzen Abend mit einem fremden Mann geknutscht. Ich fühlte mich in einer dummen Situation: Hätte ich sie auffordern sollen, damit aufzuhören? Oder durfte ich ihr den Spaß lassen?« JUDITH J., MÜNCHEN