Die Gewissensfrage

»Als umweltbewusster Bürger fahre ich täglich mit der S- und U-Bahn zur Arbeit. Beim Umsteigen am Marienplatz werde ich meist durch Lautsprecheransagen aufgefordert, bitte an allen Türen zuzusteigen. Ich kann aber doch nur bei einer zusteigen! Verhalte ich mich da korrekt oder soll ich wieder aus- und an einer weiteren Tür erneut einsteigen, um der Aufforderung des Ansagers gerecht zu werden?« ARNDT K., MÜNCHEN

»Den Anweisungen des Personals ist Folge zu leisten.« Dieser Grundsatz ordentlichen Fahrgastverhaltens hat sich offensichtlich in Ihrem Kopf festgesetzt und Sie fragen sich nun, ob es richtig sein kann, sich in dieser Hinsicht, statt gleichzeitig zuzusteigen, zeitgleich stur zu zeigen. Man könnte nun argumentieren, dass sich die Ansage an eine Mehrzahl von Personen richtet, die sich eben verteilen sollen. Andererseits ist man jedoch gehalten, sich beim richtigen Verhalten nicht auf andere zu verlassen, sondern im Sinne Kants so zu handeln, dass die Maxime allgemeines Gesetz sein könnte. Und die Maxime, an allen Türen gleichzeitig zuzusteigen, stellt den Normalbürger vor ein ernsthaftes Problem. Dieses liegt in einem altbekannten Phänomen: der Bilokation. Damit bezeichnet man die Fä-higkeit, an zwei Orten gleichzeitig zu sein, klassischerweise bei Heiligen auftretend. Fraglich ist nur, ob Sie die Bilokation erlernen sollten, nur um den Aufforderungen des MVV genüge zu tun. Neben dem mirakulösen Vorkommen war sie nämlich schon in der Antike als eines der Kennzeichen von Hexen bekannt. Und deren Schicksal, besonders das häufig sehr unschöne Ende auf dem Scheiterhaufen, wirkt doch eher abschreckend. Ähnlich schlecht geht es einem weiteren Lebewesen, das den Aufenthalt an mehreren Orten erklären soll: Schrödingers Katze. Um zu verdeutlichen, wie sich Quanten an keinem bestimmten Ort und somit an mehreren befinden können, sperrte der Physiker seine Katze (gedanklich!) in eine Kammer, in der mit einer Wahrscheinlichkeit von fünfzig Prozent eine radioaktive Substanz zerfällt und dabei das Tier mittels Giftgas tötet. Solange niemand in die Kammer sieht, ist die Katze weder tot noch lebendig, sondern in einem Überlagerungszustand aus beidem. Schaut man jedoch nach, kann sie allein dieser Blick ins Jenseits befördern. Die Anweisung scheint also mit erheblichen Risiken verbunden zu sein. Steigen Sie deshalb lieber nur an einer einzigen Tür zu, dafür aber an einer, an der niemand ansteht.