Gemessen an der Zahl der Zuschriften scheint das Reden über Seitensprünge mehr Gewissensprobleme zu bereiten als der Vorfall selbst. Vor einiger Zeit sah ich in einem sozusagen spiegelbildlich gelagerten Fall – die beste Freundin hatte eröffnet, ihren Partner betrogen zu haben – die Vertrauens-person verpflichtet, über das ihr im Freundschaftsverhältnis Anvertraute zu schweigen. In Ihrem Fall dagegen halte ich Sie für verpflichtet zu handeln, gegebenenfalls Ihre Freundin zu informieren.
Warum? Dreh- und Angelpunkt ist in beiden Fällen die Freundschaft. Der Zürcher Moralphilosoph Anton Leist zieht sie in seiner Ethik der Beziehungen als Modell für moralische Beziehungssysteme in der Gesellschaft heran. Für ihn ist sie nicht zu erhalten ohne das Befolgen bestimmter Pflichten, etwa die Hilfe oder das vertrauensvolle Gespräch. An dieser Stelle möchte ich einhaken: Ebenso wie man das innerhalb der Freundschaft Anvertraute für sich behalten muss, besteht die Pflicht, einer Freundin etwas mitzuteilen, wenn es für deren Leben Bedeutung hat. Einem vertrauten Menschen eine wichtige Information absichtlich vorzuenthalten wäre für mich eine Unaufrichtigkeit. Ihre Freundin mit Bedacht im Unklaren zu lassen hieße sich anzumaßen, an ihrer Stelle über die Folgen zu entscheiden, im Endeffekt, sie zu entmündigen. Andererseits gibt es ein Recht auf Nichtwissen; Ihre Freundin darf sich der Information verschließen, auch das gehört zur Autonomie.
Ihre sicherlich nicht leichte Aufgabe sehe ich demnach darin, sich keinesfalls »taktvoll« herauszuhalten, sondern ihr mit dem Einfühlungsvermögen eines eng vertrauten Menschen – Ihre beste Freundin sollten Sie gut kennen – die Information klar anzubieten, aber nicht aufzudrängen. Tun Sie nichts oder gehen Sie zu brachial vor, nehmen Sie ihr Chance und Recht, wichtige Aspekte ihres Lebens selbst zu bestimmen.
Die Gewissensfrage zum Anhören:
Wenn Sie hier klicken, können Sie den Gewissensfragen-Podcast mit iTunes abonnieren.
Hierkönnen Sie die Gewissensfrage anhören.