Die Gewissensfrage

»Bei Kopfsteinpflaster fahren viele Radfahrer lieber auf dem Gehweg. Wenn mir mit meinem Kinderwagen welche entgegenkommen, schiebe ich ungerührt weiter in der Mitte des Gehweges. Ich gebe zu, dass manchmal Platz zum Ausweichen wäre – ich habe dazu aber keine Lust, weil ich zu Recht auf dem Gehsteig bin und die Fahrradfahrer unrechtmäßig. Stimmen Sie mir zu, dass Radfahrer, die die Unbequemlichkeit des Kopfsteinpflasters fürchten, auf dem Bürgersteig nicht erwarten können, von Fußgängern durchgelassen zu werden?« BRITTA B., BERLIN

Natürlich stimme ich Ihnen zu, dass Radfahrer, welche, um nicht durchgeschüttelt zu werden, unrechtmäßig und straßenverkehrsordnungswidrig auf dem Gehweg fahren, nicht erwarten können, von Fußgängern durchgelassen zu werden. Für eine solche Erwartung ist unsere Gesellschaft nämlich viel zu rechthaberisch. Die Radfahrer könnten allenfalls eine Hoffnung hegen – mehr eine fromme denn berechtigte.

Anders ausgedrückt: Ich bin fassungslos. Nicht über Ihre Frage oder das Problem, nicht einmal so sehr über das Nichtausweichen, sondern schlicht über Ihre Begründung. Würden Sie argumentieren, wie mühsam es ist, den Kinderwagen zur Seite zu wuchten, oder auch nur, dass es nervig sei, um die rasenden Radler herum Buggy-Slalom zu fahren, Sie hätten jedes Verständnis der Welt für Ihr Beharren. Ginge es um Engstellen, niemand verlangte von Ihnen, sich irgendwo an den Rand zu quetschen, schon gar nicht mit einem Baby. Wenn aber genügend Platz da ist und es für Sie kein Problem darstellt auszuweichen, warum tun Sie es dann nicht? Nur um recht zu behalten? Tut mir leid – dafür habe ich kein Verständnis.

Nicht um den Radfahrer in Schutz zu nehmen. Würde er mich fragen, er erhielte die Antwort, dass der Gehweg den Fußgängern gehört, er die Verkehrsregeln beachten und sich ansonsten in Berlin ein holpertaugliches Rad zulegen soll. Man kann schließlich auch nicht im Dezember mit Sommerreifen in die Alpen fahren.

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Der Gehwegradler befindet sich im Unrecht, Sie im Recht. Und trotzdem sind Sie es, die mit ihrer Rechthaberei einen Spaltpilz in das Zusammenleben trägt, nicht der Verkehrssünder – vorausgesetzt, er lässt Fußgängern den Vorrang und fährt so vorsichtig, dass er niemanden gefährdet. Von der Polizei bekommt er das Ticket, von mir aber erhalten Sie es.

Haben Sie auch eine Gewissensfrage? Dann schreiben Sie an Dr. Dr. Rainer Erlinger, SZ-Magazin, Rindermarkt 5, 80331 München oder an gewissensfrage@sz-magazin.de.