Das »Sollen«, nach dem Sie fragen, würde ich gern aufspalten: Hätten Sie etwas sagen dürfen? Oder sogar, wegen der zukünftigen Patienten, etwas sagen müssen?Letzteres, eine Pflicht, kann ich nur dann erkennen, wenn die Massage nicht nur unproduktiv war, sondern kontraproduktiv; überspitzt ausgedrückt, wenn der Nächste Gefahr läuft, auf der Liege seine Gesundheit zu lassen. Jeder ist verpflichtet, auf eine echte Gefahr hinzuweisen; hingegen kann keine Pflicht bestehen, die Welt allgemein vor Mäßigem zu bewahren – ohnehin ein hoffnungsloses Unterfangen.Glücklicherweise berichten Sie nicht von brachial zerknackten Wirbeln, sodass nur mehr die Frage bleibt, ob eine Beschwerde aus moralischer Sicht statthaft gewesen wäre. Ich finde: ja. Das klingt hart, da Sie nicht wissen können, woran die Missgriffe lagen. Gerade darin aber sehe ich den Punkt: Die Probezeit ist kein Folterinstrument des bösen Arbeitgebers, sondern eine gesetzliche Regelung, die beiden Seiten ermöglichen soll zu überprüfen, ob man zueinander passt. Der Praxisinhaber hat ein legitimes Interesse zu erfahren, wie gut seine neue Mitarbeiterin ihr Handwerk beherrscht, zumal es vielleicht andere Aspiranten gab, die nun keine Stelle bekommen. Er kann eher als Sie abschätzen, was vorgelegen hat: Unlust, echte fachliche Mängel oder nur ein Formtief. Ihr Mitgefühl hat Sie Position für die Angestellte ergreifen lassen – ohne dass Sie wussten, ob diese Parteinahme gerechtfertigt war. Das moralisch Richtige beinhaltet jedoch nicht nur das Handeln entsprechend dem sozialen Gefühl, sondern auch das objektiv Gerechte. Und dazu gehören weitere Positionen: die des Arbeitgebers, der zukünftigen Patienten und sogar – ganz unzynisch – die anderer Arbeitssuchender.
Die Gewissensfrage
»Wegen Verspannungen ließ ich mir auf eigene Kosten eine Rückenmassage machen, die so schlecht und unfachlich ausgeführt wurde, dass ich mich beschweren wollte. Dann hörte ich, dass die Krankengymnastin noch in der Probezeit war. Da ich ihren Arbeitsplatz nicht gefährden wollte – gerade in der heutigen schlechten Arbeitsmarktlage –, bezahlte ich kommentarlos. Hätte ich doch etwas sagen sollen, um zukünftigen Patienten eine unfachgemäße Behandlung zu ersparen, obwohl dadurch die Krankengymnastin eventuell ihren Arbeitsplatz verloren hätte?« ULRIKE P., BREMEN