Die Gewissensfrage

»Das Unternehmen, bei dem ich angestellt bin, ist vor Kurzem für sehr viel Geld verkauft worden. Die Verkäufer haben dieses Unternehmen nicht selbst aufgebaut, sondern geerbt. Da der Wert der Firma von den Mitarbeitern erarbeitet wurde, frage ich mich, ob eine moralische Pflicht besteht, den Mitarbeitern einen kleinen Teil der Verkaufssumme abzugeben. Zum Beispiel in Form einer Stiftung, die sich um bedürftige Angestellte kümmert. Schließlich erbt man ja auch eine soziale Verantwortung, oder?« NIKOLAUS K., HAMBURG

Soziale Verpflichtungen, Arbeit und Kapital. Fragen aus diesem Bereich werden, ideologisch gestützt, oft schnell beantwortet; mit unterschiedlichem Ergebnis, je nachdem, ob das Herz rechts oder links schlägt. Hier wäre damit niemandem gedient, deshalb sollte man Schritt für Schritt vorgehen: Sicherlich haben die Mitarbeiter den Wert der Firma mit aufgebaut. Ebenso sicher haben sie aber auch Lohn erhalten. Damit wäre man – faire Löhne vorausgesetzt – eigentlich quitt. Vieles Weitere, Bonuszahlungen, Beteiligungen an Gewinn- oder Wertsteigerungen, scheint in diesem Zusammenhang nahe liegend oder sinnvoll, bleibt aber dennoch freiwillig, sofern es nicht vorher vereinbart oder wenigstens in Aussicht gestellt wurde. Von all dem lese ich in Ihrer Frage nichts, was zunächst eher gegen eine moralische Pflicht spricht.

Dass ich mich dennoch ganz unideologisch für die Idee erwärmen kann, liegt an einer Bestimmung in einem ganz anderen Rechtsgebiet. Das im Urheberrecht geltende »Folgerecht« besagt, dass ein Künstler, der sein Werk verkauft hat, dennoch einen kleinen Anteil vom Erlös einer Weiterveräußerung erhält. Die Gerechtigkeit gebiete, so der dahinter stehende Gedanke, ihn an der Wertsteigerung des Werks zu beteiligen, wenn der ursprüngliche Käufer es nicht mehr behalten, sondern zu Geld machen will. Dieser Grundgedanke ließe sich meines Erachtens gut hierher übertragen, die Parallelen mit dem Verkaufsfall und den hohen Erlösen drängen sich auf, umso mehr, sollte es sich zufällig um eine Firma handeln, die ihren Wert auch aus der Kreativkraft der Mitarbeiter bezieht.Nur, lässt sich daraus eine moralische Pflicht ableiten?

In der Deutschen Zeitschrift für Philosophie untersuchte der Moralphilosoph Andreas Wildt jüngst verschiedene moralische Verpflichtungen aus dem Blickwinkel einer interessenbezogenen Ethik. Er unterscheidet einzufordernde Pflichten, denen Rechte anderer gegenüberstehen, weichere Pflichten ohne solche Rechte und darüber hinausgehendes moralisches Verhalten »jenseits aller Verpflichtungen«. Wo wäre nun Ihr Anliegen anzusiedeln? Bejaht man ein dem Folgerecht verwandtes Recht der Mitarbeiter, müsste der Eigentümer zahlen, moralisch gesehen. Doch was, wenn man diesen Gedanken für Unsinn hält? Entfällt dann jegliche Verpflichtung? Ich meine, nein. Sie sprechen von einer Stiftung, also dem Bereich von Hilfe, Großzügigkeit, aber auch Dankbarkeit. Derartiges, den Tugenden verwandtes Verhalten ordnet Wildt den milden Pflichten zu und begründet dies mit den gesellschaftlichen Sanktionen bei Fehlern: Während ein Verstoß gegen harte Pflichten zu Empörung führe, kennzeichne die Vernachlässigung der milden Pflichten neben Abwendung und Befremden vor allem etwas, was man im Falle einer Verweigerung auch hier empfinden könnte: Bedauern.

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Illustration: Jens Bonnke

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