Hoffentlich beziehen Sie die »Säuberung« allenfalls auf die Fotografien und nicht auf die noch lebenden Ex-Freunde. Sonst würde sich womöglich zugunsten Ihres Beziehungsfriedens eine Schneise ungeklärter Todesfälle entlang Ihrer Biografie durch die Weiten der westsibirischen Taiga fräsen – woher mich zu meiner Überraschung diese Frage erreichte. Aber auch eine auf Ihr Fotoalbum beschränkte Säuberung wäre in gewissem Sinne gewalttätig, denn sie beraubte Sie eines Teils Ihrer Vergangenheit.
Eine dazu befragte Psychologin meinte, die extreme Reaktion Ihres Mannes deute auf ein gestörtes Selbstwertgefühl hin, obwohl man auch kulturelle Unterschiede bedenken müsse und sie die sibirischen Gegebenheiten nicht kenne. Wichtig für die Beziehung sei in jedem Fall, dem Partner zu vermitteln, dass er – im Gegensatz zu den Verflossenen – jetzt der wichtigste Mann in Ihrem Leben ist. Und: Es gebe keine Beziehung ohne Konflikt. Vermeide man bei einer Unstimmigkeit den äußeren Beziehungskonflikt, verlagere sich dieser lediglich zu einem inneren.
Auf der moralischen Ebene taucht jedoch die Frage auf, ob man in einer Beziehung verpflichtet ist, Toleranz für die Schwächen des Partners zu haben, in diesem Falle sogar mehr noch: ihretwegen zurückzustecken. In gewissem Umfang würde ich das bejahen. Denn man hat sich den Partner in seinem gesamten So-Sein – auch mit seinen Schwächen – gewählt. Umgekehrt ist er aber verpflichtet, an sich zu arbeiten. Rein praktisch läge am nächsten, das Album ins Regal zu stellen und es nur mehr allein anzusehen; doch dann können Sie Ihre Vergangenheit nicht mehr mit Ihrem Mann teilen, weil das Bild Ihrer Lieblingsoma neben dem Ihres Ex-Freundes klebt. Deshalb wäre zu erwägen, das Album umzuordnen, denn das bewusste Wegstellen und Ausblenden stellt, so die Psychologin, ohnehin schon ein inneres Umordnen dar.
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Illustration: Marc Herold