Ein Oscar schützt vor Strafe nicht. Oder doch? Unbestritten hat sich Roman Polanski als Künstler hochverdient gemacht. Nur, darf sich das auf eine Strafverfolgung auswirken? Ich denke nicht. Es mag auf das Strafmaß Einfluss haben, wie sehr ein Täter seinen festen Platz in der Gesellschaft gefunden hat. Ein Verfahren aber nur deshalb völlig einzustellen, weil der Verdächtige geachtet oder prominent ist, widerspräche eklatant unseren Gerechtigkeitsvorstellungen, nach denen vor dem Gesetz alle gleich zu sein haben.Wie sieht es mit der Vergebung durch das Opfer aus? Kann sie das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung entfallen lassen? Bei einem Sexualdelikt mit Minderjährigen schwerlich. Die Vergebung kann nur das Verhältnis zwischen Täter und Opfer verändern. Der Unrechtsgehalt einer Tat und der Strafanspruch des Staates sind davon getrennt, unabhängig davon, als wie verwerflich und strafwürdig man Polanskis Verhalten im konkreten Fall nun wertet.
Natürlich könnte man darüber streiten, ob es richtiger wäre, eine Tat nach so langer Zeit verjähren zu lassen, wie es bei uns geschieht. Aber sicherlich gibt es rechtsstaatliche Gründe dafür, für den Missbrauch von Minderjährigen eben keine Verjährung zuzulassen, wie in den USA.Bleibt die Frage, ob dies alles eine Verhaftung und Auslieferung Polanskis rechtfertigt. Ich finde ja – trotz der Proteste aus Kultur und Politik. Zwar stehe ich den harten, zum Teil drakonischen Strafen in den USA sehr kritisch gegenüber. Dennoch halte ich es für legitim, dass ein Land und seine Gerichte die angesprochenen Fragen vor dem zuständigen Richter in dem dafür vorgesehenen Verfahren klären möchten. Auch wenn Polanski vermutlich nach dem Prozess Gericht und Land wieder frei verlassen kann, setzt das Recht dennoch ein Zeichen, dass sich ein Täter nicht so einfach entziehen kann. Auch dazu dienen Auslieferungsabkommen und internationale Haftbefehle.
Zum Zweck der Strafe lesenswert:
Claus Roxin, Strafrecht AT Band 1, 4. Auflage C.H.Beck, München 2005, § 3
Winfried Hassemer, Warum Strafe sein muss, Ullstein, Berlin 2009Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, § 49 E
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 99
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Illustration: Marc Herold