»Ist es in Ordnung, seiner langjährigen Expartnerin nicht mehr zum Geburtstag zu gratulieren, wenn man sowieso nur noch unregelmäßig bis gar keinen Kontakt hat? Oder gehört es einfach dazu, als anständiger Mensch jemandem zum Geburtstag Glück zu wünschen, mit dem man viel gemeinsam erlebt hat?« Christian K., Dresden
In seinem Roman Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins widmet Milan Kundera eine Passage der Betrachtung, wie Worte und Gegenstände sich im Lauf eines Lebens entwickeln. Er bezeichnet sie als Motive in der Partitur des Lebens, die jedes Mal, wenn sie wieder auftauchen, eine neue Bedeutung erlangen, aber von allen bisherigen Bedeutungen weiterhin durchströmt würden. Das aber zeige sich, so Kundera, besonders bei Paaren. Solange sie jung seien, »und die Partitur ihres Lebens erst bei den ersten Takten angelangt ist, können sie gemeinsam komponieren und Motive austauschen«. Wenn sie sich später begegneten, seien die Kompositionen schon mehr oder weniger vollendet, und jedes Wort, jeder Gegenstand bedeute in der Komposition des Einzelnen etwas anderes.
Was bedeutet das hier? Ich glaube, es zeigt, wie sehr man mit einem Menschen, mit dem man eine längere Wegstrecke seines Lebens gemeinsam zurückgelegt hat, verbunden bleibt, auch wenn man sich getrennt hat. Kundera spricht vom »Rauschen des semantischen Flusses«, das eben bei manchen Begriffen das gleiche wurde. Man stößt immer wieder auf Dinge, Erlebnisse, Formulierungen, die eine gemeinsame Bedeutung erlangt haben. Die Erfahrungen, die man zusammen gemacht hat, wurden Teil der Lebensgeschichte. Pathetisch ausgedrückt bleiben die Lebenslinien verwoben, auch wenn sie danach auseinanderlaufen.
Ich weiß nicht, ob Sie in Ihrer Frage die Formulierung »Gehört es einfach dazu?« bewusst, unbewusst oder zufällig gewählt haben, aber darin liegt meines Erachtens der Schlüssel zur Lösung. Ich würde die Antwort nicht an äußeren Gepflogenheiten oder gar Verpflichtungen festmachen wollen, sondern an Ihrer Person, daran, ob es »zu Ihnen dazugehört«. Es geht um die Partitur Ihres Lebens, deshalb sollten Sie sich ganz einfach bewusst machen, ob Sie das persönliche Bedürfnis haben zu gratulieren. Falls ja – und Ihre Überlegungen scheinen mir in diese Richtung zu deuten –, tun Sie es. Anders hingegen, wenn Sie das Bedürfnis nicht verspüren – sei es, weil Sie im Streit geschieden sind, einer den Kontakt abgebrochen hat oder Sie sich zu weit voneinander entfernt haben: Dann ist es auch »in Ordnung«, nicht zu gratulieren. Einen Glückwunsch, der rein aus Verpflichtung erfolgt, würde ich ohnehin eher kritisch sehen.
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Der Roman zur Frage:
Milan Kundera, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Aus dem Tschechischen von Susanna Roth, Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 1987
Illustration: Marc Herold