»Bei einem Firmenabend in einem Bowlingcenter fiel uns auf der Nachbarbahn ein lustig wirkendes Pärchen auf: etwas runder gebaut, Topfschnitt wie von Muttern und fast schon clowneske Bewegungen. Wir machten unsere Blödeleien über sie. Ein Kollege fand das nicht in Ordnung. Darf man sich nicht über andere amüsieren, besonders wenn sie es nicht bemerken?« Hanna L., Giessen
Moralkritiker beginnen jetzt vermutlich schon mit den Füßen zu scharren. Steuern wir hier doch auf ein Klischee zu: Die Moral will uns den Spaß verderben. Und das an einer Stelle, die - zumindest auf den ersten Blick - harmlos erscheint. Was soll schon schlecht daran sein, wenn man lacht, ohne jemanden auszulachen? Schließlich wird niemand gekränkt, weil die Opfer der Späße es nicht mitbekommen? Genau da liegt jedoch der Knackpunkt: Vielleicht wird niemand gekränkt, aber eben trotzdem verletzt. In seiner Würde.
In Immanuel Kants Vorlesungen über Ethik heißt es dazu: »Durch das Raillieren«, das Spotten, »wird der Mensch mehr erniedrigt als durch das Böse. Denn ist man ein Objekt des Lachens von anderen, so hat man keinen Wert und ist der Verachtung ausgesetzt.«
Es soll hier auch nicht mit Hilfe der Moral klassisch moralinsauer das Lachen verboten werden. Aber ich erachte es dann als bedenklich, über andere zu lachen, wenn es sich um Schwächere handelt. In diesem Fall beinhaltet das Lachen stets auch, dass man sich über den Verlachten erhebt. Man hangelt sich selbst gewissermaßen an dem Lachen hoch, während man den anderen, den Schwächeren dabei nach unten drückt. Man wird selbst nicht größer, aber man erreicht eine größere Höhe, wenn man sich auf den am Boden Liegenden stellen kann. Und das kann man eben praktischerweise ohne selbst wachsen zu müssen.
Zudem halte ich die Tatsache, dass Schwächere Schwächen haben, für wenig überraschend, damit für einen sehr mäßigen Witz und schon gar nicht für lustig. Man amüsiert sich darüber, dass der andere anders ist, aber witzig kann das allenfalls sein, wenn man sich selbst für besser hält. Oder hätten Sie auch über die auffallende Schönheit von Alain Delon oder Audrey Hepburn gelacht, hätten die auf der Nachbarbahn gebowlt?
Literatur:
Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, Tugendlehre. I. Ethische Elementarlehre, Von den die Pflicht der Achtung für andere Menschen verletzenden Lastern. C. Die Verhöhnung. § 44 (Akademie Ausgabe Band VI, S. 467)
Die leichtfertige Tadelsucht und der Hang Andere zum Gelächter blos zu stellen, die Spottsucht, um die Fehler eines Anderen zum unmittelbaren Gegenstande seiner Belustigung zu machen, ist Bosheit und von dem Scherz, der Vertraulichkeit unter Freunden, sie nur zum Schein als Fehler, in der That aber als Vorzüge des Muths, bisweilen auch außer der Regel der Mode zu sein, zu belachen (welches dann kein Hohnlachen ist), gänzlich unterschieden. Wirkliche Fehler aber, oder, gleich als ob sie wirklich wären, angedichtete, welche die Person ihrer verdienten Achtung zu berauben abgezweckt sind, dem Gelächter blos zu stellen, und der Hang dazu, die bittere Spottsucht ( spiritus causticus ), hat etwas von teuflischer Freude an sich und ist darum eben eine desto härtere Verletzung der Pflicht der Achtung gegen andere Menschen.
Hievon ist doch die scherzhafte, wenn gleich spottende Abweisung der beleidigenden Angriffe eines Gegners mit Verachtung ( retorsio iocosa ) unterschieden, wodurch der Spötter (oder überhaupt ein schadenfroher, aber kraftloser Gegner) gleichmäßig verspottet wird, und rechtmäßige Vertheidigung der Achtung, die er von jenem fordern kann. Wenn aber der Gegenstand eigentlich kein Gegenstand für den Witz, sondern ein solcher ist, an welchem die Vernunft nothwendig ein moralisches Interesse nimmt, so ist es, der Gegner mag noch so viel Spötterei ausgestoßen, hiebei aber auch selbst zugleich noch so viel Blößen zum Belachen gegeben haben, der Würde des Gegenstandes und der Achtung für die Menschheit angemessener, dem Angriffe entweder gar keine oder eine mit Würde und Ernst geführte Vertheidigung entgegen zu setzen.
Immanuel Kant, Eine Vorlesung über Ethik, Herausgegeben von Gerd Gerhardt, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1990, S. 254f.
Teil B Ethica
VIII. Von den Pflichten gegen andere Menschen
14. Von der Spötterei
Die Menschen sind teils medisant, teils moquant. Das Medisante ist Bosheit, das Moquante ist Leichtsinn, der da abzielt, andere zu belustigen auf Kosten der Fehler anderer. Zur Verleumdung gehört Bosheit. Oft ist der Mangel an Gesprächigkeit eine Ursache davon, und es nährt auch unsere Selbstliebe, denn alsdann erscheinen unsere Fehler klein. Die Menschen fürchten sich mehr vor der Raillerie als vor dem Medisanten. Denn das Übelnachreden und Verleumdung geschieht insgeheim und kann nicht in jeder Gesellschaft angebracht werden, und ich kann es auch nicht selbst hören, aber die Raillerie kann in jeder Gesellschaft stattfinden. Durch das Raillieren wird der Mensch mehr erniedrigt als durch das Böse. Denn ist man ein Objekt des Lachens von anderen, so hat man keinen Wert und ist der Verachtung ausgesetzt. Man muss aber sehen, worüber man ein Objekt des Lachens von anderen ist. Oft kann man solches dem anderen gönnen, wenn es weder mir noch dem anderen etwas kostet, man verliert dadurch nichts. Ein Spötter von Profession verrät, daß er wenig Achtung vor anderen hat und daß er die Sachen nicht nach dem wahren Werte beurteilt.
Paul McDonald, The Philosophy of Humour (Philosophy Insights, General Editor: Mark Addis), Humanities-Ebooks, Penrith 2012, dort Kapitel 7: Humour and Ethics
Aaron Smuts The Ethics of Humor: Can Your Sense of Humor be Wrong? Ethic Theory Moral Prac (2010) 13:333–347
Barbara Houston Taking Laughter Seriously Philosophy of Education 2009, 213–216
Dort findet sich ein Absatz, der die hier vertretene These beleuchtet: „Laughter is not “innocent.” Perusal of a dictionary convinces us that to laugh at someone or something is sometimes to ridicule, show contempt for, or hold up to scorn. Furthermore, laughter is sometimes a way to silence, dismiss, or claim victory over others. Sneering, jeering, and snickering are well known forms of laughter. There is no question that laughter can be aggressive, hostile, and cruel. We need to look at who is laughing at what, and with whom, before we can assess whether or not there is any positive educational dimension to the laughter.“ (S. 215)
Ronald de Sousa, “When Is It Wrong to Laugh?” in The Philosophy of Laughter and Humor, ed. John Morreall (Albany, N.Y.: SUNY Press, 1987), 228–229. Nachgedruckt in: David Benatar (Hrsg.), Ethics for Everyday, McGraw-Hill, New York, 2002, S. 21–39
Mit der möglicherweise negativen Kraft des sonst doch so gut beleumundeten Lachens beschäftigt sich eines der bekanntesten Bücher der letzten Jahrzehnte: Umberto Ecos »Der Name der Rose«. Die Morde in der Benediktinerabtei, die am Schluss deswegen sogar zusammen mit ihrer berühmten Bibliothek den Flammen zum Opfer fällt, geschehen nämlich nur deshalb, um die Welt vor einem Buch zu schützen, dem einzigen erhaltenen Exemplar des zweiten Buches der Poetik des Aristoteles, das von der Komödie handeln soll. Denn das Lachen ist nach Ansicht des blinden Bibliothekars Jorge von Burgos verderblich: „Jesus hat nie gelacht“
Im Buch finden sich mehrere Stellen, an denen der Protagonist William von Baskerville mit dem blinden Bibliothekar Jorge von Burgos über die Zulässigkeit des Lachens streitet, so etwa im Kapitel »Erster Tag Komple»t (HC S. 125f. ) oder »Zweiter Tag Tertia« (HC S. 167ff.)
Umberto Eco, Der Name der Rose, Aus dem italienischen von Burkhart Kroeber, Hanser Verlag, München 1982
Illustration: Serge Bloch