Geburtstagsfolter in der Raucherbar

Muss man widerwillig auf den Geburtstagsumtrunk eines Freundes gehen, auch wenn einem die Art, wie gefeiert wird, überhaupt nicht zusagt? 

»Ein kollegialer Freund lädt jedes Jahr, auch mitten in der Woche, zum Reinfeiern in seinen Geburtstag in eine Raucherbar ein. Ab 22.30 Uhr. Ich rauche nicht, es ist mir zu spät, ein wirkliches Gespräch ist dort nicht möglich. Es sind für mich absolut unerfreuliche Abende. Verpflichtet mich die Freundschaft, meinen Widerwillen zu überwinden? Der Gastgeber sieht das so.« Udo F., München

In Friedrich Schillers Ballade Der Handschuh lässt das schöne Fräulein Kunigund ihren titelgebenden Handschuh in einen Raubtierzwinger fallen und fordert Ritter Delorges auf, ihn als Beweis seiner oft beschworenen Liebe herauszuholen - zwischen einem Löwen, einem Tiger und zwei Leoparden. Der Ritter fackelt nicht, »Steigt hinab in den furchtbarn Zwinger ... Und aus der Ungeheuer Mitte / Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.« Alle sind beeindruckt, und Fräulein Kunigund empfängt ihn ob seines heldenhaften Liebesbeweises »mit zärtlichem Liebesblick - Er verheißt ihm« laut dem Dichter »sein nahes Glück«. Doch Delorges reagiert ein zweites Mal überraschend, er »wirft ihr den Handschuh ins Gesicht / ›Den Dank, Dame, begehr ich nicht!‹ / Und verlässt sie zur selben Stunde.«

Mir will scheinen, mit Ihrem Freund verhält es sich ähnlich wie mit Fräulein Kunigund. Entweder ist er so auf sich fixiert, dass er nicht bemerkt oder ihm egal ist, wie sehr Sie seine Art, seinen Geburtstag zu feiern, beschwert. Oder er ist sich dessen voll bewusst und erwartet Ihr Erscheinen als eine Art Freundschaftsbeweis. Ein solcher ist, ebenso wie ein Liebesbeweis, etwas Wunderbares - aber was davon zu halten ist, ihn einzufordern, hat uns Schiller in virtuoser Weise klargemacht.

Meistgelesen diese Woche:

Wie also sich verhalten? Ich würde die Analogie zu Ritter Delorges nicht zu weit treiben, indem Sie es bei Ihrem Freund zu verrauchter nächtlicher Stunde aushalten und ihm um Mitternacht, statt anzustoßen, den Champagner ins Gesicht schütten. Sagen Sie ihm lieber vorab, dass Zeit, Ort und Luftqualität einfach nichts für Sie sind und Sie ihm lieber bei anderer Gelegenheit zuprosten wollen. Ich wüsste nicht, was man von Gratulanten hat, die widerwillig mit­feiern. Und als Freund sollte er ohnehin Verständnis für Sie aufbringen.

Literatur:

Der Handschuh von Friedrich Schiller
Online abrufbar zum Beispiel bei Projekt Gutenberg

Wer sich für die Männerfreundschaft aus historischer, literaturhistorischer, literarischer und philosophischer Sicht interessiert, dem sei das Buch von Andreas Kraß, Ein Herz und eine Seele. Geschichte der Männerfreundschaft, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016 empfohlen.

Klassiker zum Thema Freundschaft:

Zur Freundschaft nach wie vor unerreicht sind die Ausführungen von Aristoteles im VIII. und IX. Buch seiner Nikomachischen Ethik. Gute Übersetzungen gibt es von Olof Gigon bei dtv, München 1991 und von Ursula Wolff bei rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006, sowie die klassische Übersetzung von Eugen Rolfes (ursprünglich Felix Meiner Verlag, Leipzig 1911, mittlerweile in der »Philosophischen Bibliothek«, herausgegeben von Günther Bien im Felix Meiner Verlag Hamburg 2010)

Michel de Montaigne, Essais, übersetzt von Hans Stilett, Die andere Bibliothek, herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1998, S. 103.
Eine günstigere Ausgabe dieser neuen Übersetzung gibt es mittlerweile bei dtv

Cicero, Laelius über die Freundschaft, z.B. Reclam Verlag, Stuttgart 2014

Eine schöne Sammlung von philosophischen Texten zur Freundschaft findet sich in dem von Klaus Dieter Eichler herausgegebenen Buch »Philosophie der Freundschaft«, Reclam Verlag 1999

Illustration: Serge Bloch