»Durch ein Missverständnis kaufte ich kürzlich eine Portion gebratener Asianudeln zu viel. Deshalb ging ich zu einem Bettler und fragte: ›Hallo, mögen Sie asiatische Nudeln?‹ Er blaffte: ›Sehe ich so aus, als ob ich ’ne Wahl hätte?‹ Ich wollte ihn respektvoll behandeln, er hat es offenbar genau anders empfunden. War die Frage falsch?« Hannelore C., Aachen
Ihre Frage und die zugrundeliegende Begebenheit lenken den Blick auf zwei wichtige Aspekte des Zusammenlebens: Respekt und Verständnis.
Ein Bettler ist bei der Frage, ob er etwas bekommt, vollkommen davon abhängig, ob jemand ihm etwas geben will oder nicht. Er hat auf dieser Ebene also so gut wie keine Selbstbestimmung. Diese Unfreiheit wird noch gesteigert, wenn das, was er bekommt, anders als etwa Geld, eine zusätzliche Fremdbestimmung beinhaltet, er sich also hier nicht aussuchen kann, was er isst.
Wenn Sie dem Mann die Nudeln geben wollten, war es richtig, ihn zu fragen. Zwar stimmt sein Einwand, dass er keine echte Wahl hat, dennoch hat die Frage mehr als rhetorischen Wert. Sie zeigt, dass man das Selbstbestimmungsrecht des Empfängers achtet, ihn respektiert. Dass der Mann mit der Gegenfrage zurückgeblafft hat, sehe ich getragen davon, seinen Wunsch nach Selbstbestimmung wenigstens theoretisch und verbal anzumelden. Und angesichts seiner Situation, in der er nur wenige Möglichkeiten der Selbstbestimmung hat, erachte ich das auch als legitim. Es geht um die Würde, die sich darin ausdrückt, Herr über sein eigenes Leben zu sein.
Mir scheint dies einer der Fälle zu sein, in denen nur ein echtes Sich-in-die-Lage-des-anderen-Versetzen zu einem befriedigenden Ergebnis führt. Es mag sich unschön anfühlen, und vermutlich muss man erst einmal schlucken, wenn man jemandem etwas Gutes tun will und dafür angeblafft wird. Wenn man sich jedoch die Situation des anderen wirklich bewusst macht, kann man Verständnis dafür entwickeln, dass er so reagiert. Ich denke, vor diesem Hintergrund gehört die Reaktion des Mannes zu den Dingen, die man aushalten muss – wenn man es ernst meint mit der Idee, etwas Gutes tun zu wollen. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Illustration: Serge Bloch