Das Problem: Wir müssen die Klimaerhitzung auf höchstens zwei Grad begrenzen, um katastrophale Konsequenzen für uns zu verhindern. Das geht nur, wenn wir nicht nur weniger CO2 produzieren, sondern auch das vorhandene CO2 einfangen und umwandeln.
Die Lösung: Eine kanadische Firma hat eine revolutionäre Technik entwickelt, um CO2 aus der Luft zu filtern und in Treibstoff zu verwandeln.
Das wäre der Traum: Dieses verdammte CO2, das nun schon wieder für den heissesten Sommer aller Zeiten sorgt, einfach aus der Luft saugen. Steve Oldham öffnet seine Hand und schnappt sich mit einer schnellen Bewegung eine Faust voll Luft: »Die Lösung ist direkt zu greifen«, sagt der CEO der kanadischen Firma Carbon Engineering und zeigt ein Fläschchen mit einer leicht gelblichen Flüssigkeit. »Das ist der erste Treibstoff, der jemals direkt aus Kohlendioxid hergestellt wurde. Wir fangen das CO2 ein, das zum Beispiel bei ihrem Flug hierher entstanden ist, und verwandeln es in Treibstoff.«
Dass das keine Science-Fiction-Fantasie ist, hat er mit seiner Firma Carbon Engineering bewiesen: Seit 2015 fängt deren Anlage im kanadischen Squamish in British Columbia Kohlendioxid ein, im Augenblick etwa eine Tonne pro Tag. Das ist technisch nicht ganz einfach, schließlich ist der CO2-Gehalt in der Luft zwar um fast 50 Prozent gestiegen, liegt aber dennoch nur bei 0,04 Prozent. Doch es ist machbar, wie auch andere Pioniere auf dem Gebiet bereits bewiesen haben, zum Beispiel der Deutsche Klaus Lackner am Center for Negative Carbon Emissions der Arizona State University und die Schweizer Firma Climeworks bei Zürich, die seit letztem Jahr in ihrer Testanlage CO2 aus der Luft filtert.
Das Problem bisher: Es ist zu teuer. Wer will schon 1000 Dollar bezahlen, um eine Tonne CO2 zu filtern? Und dann: Wohin mit dem Treibhausgas? Teuer unterirdisch speichern? In Gewächshäuser einspeisen, wie es die Schweizer machen? Für Sprudelbrause verwenden?
Seit Ende letzten Jahres verwandelt Carbon Engineering das Kohlendioxid in einen wertvollen Stoff – Benzin. Damit lohnt sich der Prozess plötzlich, denn nun hat die Firma ein Produkt, das sich nicht nur gut verkaufen, sondern umweltfreundlich vermarkten lässt: klimaneutralen Treibstoff. Und das »ohne Ölbohrungen, ohne Bohr-Plattformen«, wie Oldham betont. »Wenn wir mit dem Auto fahren, wird dadurch zwar CO2 freigesetzt, aber eben altes CO2, der Atmosphäre wird kein neues zugeführt.«
Im Fachjournal Joule hat CE-Gründer und Harvard-Professor David Keith gerade beschrieben, dass seine Firma das CO2 für weniger als 100 Dollar pro Tonne filtern kann (am Anfang für knapp 300 Dollar, nach der industriellen Skalierung dann 94 Dollar). Er meint, dass eine einzige Fabrik bis zu einer Million Tonnen pro Jahr fangen kann – etwa das, was 250.000 Autos jährlich ausstoßen. Genau, das ist der gleiche David Keith, der schon mit der wahnwitzigen Idee Schlagzeilen machte, künstliche Wolken zu erzeugen, um die Sonneneinstrahlung und damit die Klimaerhitzung zu verringern. Auch die Idee, die Ozeane mit Eisen zu düngen, damit CO2-fressende Algen gedeihen, trug er vor.
Im Vergleich dazu ist die Idee, CO2 aus der Luft zu filtern, wesentlich realistischer. Vereinfacht ausgedrückt fangen riesige Ventilatoren die Luft ein und absorbieren das CO2 mit einer alkalinen Hydroxid-Lösung. Der zweite Schritt: Die Flüssigkeit wird mit relativ geringem Energieaufwand in reines CO2 umgewandelt, das dann entweder gespeichert werden kann oder durch die Zugabe von Wasserstoff in Treibstoff wie Benzin oder Diesel verwandelt wird. Keiths Team hat diese Techniken nicht komplett neu erfunden (Ölkonzerne wandeln Kohlenwasserstoffe und Kohlendioxid regelmäßig in flüssige Treibstoffe um), aber neu kombiniert und optimiert. Bill Gates gehört zu den Investoren von Carbon Engineering, und beim Klima-Wettbewerb »Virgin Earth Challenge« landete die Firma unter den elf Finalisten; Richard Branson hatte 25 Millionen Dollar ausgelobt für eine realistische Methode, um jährlich eine Gigatonne CO2 aus der Atmosphäre verschwinden zu lassen.
Weltweit sind sich Klimaexperten einig, dass wir die Erhitzung auf deutlich unter zwei Grad begrenzen müssen. Wir sind aber auf dem direkten Weg in eine Zukunft, die drei, vielleicht sogar vier oder fünf Grad heisser wird, mit katastrophalen Folgen: steigende Meeresspiegel, Dürren, neue Wüsten, wo jetzt noch Gemüse gedeiht. Wir verbrauchen einfach zu viele fossile Brennstoffe, und selbst wenn die Menschheit weltweit plötzlich zur Besinnung käme, auf Flugreisen verzichtete und alle Städte Dieselverbote erließen, würde es immer noch nicht reichen, denn CO2 kann Tausende von Jahren in der Atmosphäre verbleiben.
Deshalb wird es ohne Geoengineering nicht gehen. Schon im aktuellen Plan, die Welterwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, spielt die Negative Emissionstechnologie (NET), also die aktive Entfernung von CO2, eine tragende Rolle. Also entwickeln Forscher immer ambitioniertere Pläne, am globalen Thermostat zu drehen. Maschinen, die CO2 entziehen, speichern und umwandeln, gibt es natürlich längst: Sie werden auch Bäume und Pflanzen genannt. Davon gibt es viele, aber viel zu wenig.
David Keith ist jedenfalls optimistisch: Neue Technologien können das Klima retten, meint er. Sein CEO Oldham vergleicht die aktuelle Situation mit einer Fahrt in einem überhitzten Auto: »Macht ein Experiment: Steigt an diesem schönen Sommertag in euer Auto, schließt alle Fenster und dreht die Heizung auf.« Das entspricht in etwa der aktuellen Lage des Planeten. »Bald werden eure Kinder sagen, Papa, es ist echt heiß hier drin, stell bitte die Heizung ab. Das ist gut, aber es wird immer noch zu heiß. Also: Kannst du bitte die Fenster öffnen?« Kalte Luft reinzulassen wäre dann die Aufgabe der Klimaklempner.
Billiger und besser wäre es natürlich, das CO2 gar nicht erst in die Luft zu lassen. »Wir sollten als erstes versuchen, den Kohlendioxidausstoß zu bremsen. Es ist billiger, CO2 gar nicht erst auszustoßen als es dann wieder einzusammeln«, sagt Keith. »Aber wenn wir das nicht hinkriegen, müssen wir über das großflächige Einfangen von CO2 nachdenken.«
Mit anderen Worten: Statt im überhitzten Auto unterwegs zu sein, wäre es immer noch viel sinnvoller, gleich das Fahrrad zu nehmen.